Konjunkturflaute und Sorge vor Trump - EZB senkt Zinsen Von Jörn Bender und Alexander Sturm, dpa
12.12.2024 16:32
Die Sorgen um die Wirtschaft im Euroraum sind groß und könnten unter
Donald Trump noch wachsen. Die EZB will die Konjunktur mit einer
vierten Zinssenkung ankurbeln - es dürfte nicht die letzte sein.
Frankfurt/Main (dpa) - Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich
mit der vierten Zinssenkung in diesem Jahr gegen die schwache
Konjunktur im Euroraum. Volkswirte erwarten, dass die Notenbank die
Leitzinsen im nächsten Jahr noch deutlich weiter senkt. Denn während
sich die EZB beim Kampf gegen die Inflation auf gutem Weg sieht,
stellt sie sich auf noch weniger Wirtschaftswachstum in der Eurozone
ein als zuletzt erwartet.
Zudem fürchten die Währungshüter Handelskonflikte mit den USA unter
Donald Trump, die die Wirtschaft in Europa zusätzlich belasten
könnten. Konkrete Hinweise auf den Zinskurs der Euro-Währungshüter im
kommenden Jahr vermied EZB-Präsidentin Christine Lagarde.
Zinsen sinken weiter: Gut für Kreditnehmer, schlecht für Sparer
Vorerst verringert der EZB-Rat den richtungsweisenden Einlagenzins um
0,25 Prozentpunkte auf 3,0 Prozent. Diesen Zins erhalten Banken auf
Gelder, die sie bei der Notenbank parken. Sparer dürften die erneute
Senkung spüren: Sinkende Einlagenzinsen geben viele Institute in Form
niedrigerer Tages- und Festgeldzinsen an Kunden weiter.
Der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der EZB besorgen
können, wird ebenfalls erneut gesenkt, auf nun 3,15 Prozent.
Tendenziell sind niedrigere Leitzinsen gut für die Konjunktur:
Kredite werden erschwinglicher, Firmen und Privatleute - etwa
Hausbauer - kommen günstiger an Finanzierungen und können so für
Wirtschaftswachstum sorgen.
Inflationswelle vorüber
Ökonomen hatten mit der EZB-Entscheidung gerechnet, teils hatte es
sogar Spekulationen über eine große Zinssenkung von 0,5
Prozentpunkten gegeben. Denn die Gemengelage für die Notenbank ist
unübersichtlich: Zwar klingt die Inflation im Euroraum ab und ist
weit entfernt vom Höhepunkt der Teuerungswelle nach dem russischen
Angriff auf die Ukraine, als die Inflation im Herbst 2022 in der
Spitze 10,7 Prozent erreichte. Zuletzt zog die Teuerung im November
aber wieder etwas an auf 2,3 Prozent.
Vor allem aber ist ungewiss, wie Trump als Präsident handelt. Sollte
er wie angekündigt die Zölle auf Importe aus Europa auf 10 bis 20
Prozent erhöhen, könnte die EU mit Gegenmaßnahmen reagieren.
Verlierer eines Handelskriegs wäre wohl gerade die exportstarke
deutsche Wirtschaft. Zudem ist nach Deutschland auch Frankreich in
die Regierungskrise gerutscht und sieht sich einer bedrohlich hohen
Staatsverschuldung gegenüber. Als Motor für Reformen in global
schwierigen Zeiten fallen beide Länder aus.
All das hat die Unsicherheit um die Konjunktur noch erhöht. Für das
laufende Jahr erwartet die EZB nur noch ein Wachstum von 0,7 Prozent
in der Eurozone. Auch die Prognosen für 2025 (1,1 Prozent) und 2026
(1,4 Prozent) fallen pessimistischer aus als zuletzt.
EZB optimistisch für Inflation
Die Teuerung im Euroraum wird nach Einschätzung der Notenbank dagegen
etwas schneller zurückgehen als zuletzt erwartet. Für dieses Jahr
rechnet die EZB mit einer Inflationsrate von 2,4 Prozent, im
September hatte die EZB noch 2,5 Prozent vorhergesagt. 2025 rechnet
sie mit einer Rate von 2,1 Prozent.
Die Notenbank zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Inflation
«nachhaltig im Bereich des mittelfristigen Zielwerts des EZB-Rats von
zwei Prozent einpendeln wird». Wenn Preise zu stark steigen, ist das
Gift für die Wirtschaft: Dann verlieren Verbraucher Kaufkraft. Es sei
zu früh, «den Sieg über die Inflation zu verkünden», sagte Lagard
e.
Aber es sei bereits viel erreicht worden. Zugleich seien die
Auswirkungen möglicher Handelskonflikte auf die Inflation unklar.
Deutliche Zinssenkungen 2025 erwartet
Einige Ökonomen erwarten angesichts der schwachen Konjunktur, dass
die EZB bis kommenden Sommer die Leitzinsen bei jedem Zins-Entscheid
senken wird. «Das war nicht der letzte Schritt nach unten», glaubt
Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. «Inzwischen haben die
Konjunkturpessimisten im EZB-Rat ein großes Gewicht. Die Leitzinsen
werden sich im kommenden Jahr mindestens auf ein neutrales Niveau von
2 Prozent abwärts bewegen.»
Mit dem neutralen Niveau ist gemeint, dass die Leitzinsen die
Konjunktur weder bremsen noch anschieben. EZB-Direktorin Isabel
Schnabel schätzte dieses Niveau jüngst auf zwei bis drei Prozent und
warnte vor zu starken Zinssenkungen. Frankreichs Notenbankpräsident
sprach sich dagegen für starke Zinssenkungen aus.
Zwischen Konjunkturflaute und Restrisiken für die Inflation
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Kramer plädiert für einen vorsichtigen
Kurs, auch mit Blick auf steigende Löhne im Euroraum, die die
Inflation tendenziell treiben. «Außerdem könnte die EU Strafzölle
gegen die USA erheben und die Inflation so anschieben.» Und Marija
Kolak, Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und
Raiffeisenbanken, sieht zusätzliche Inflationsgefahren wegen der
Konflikte im Nahen Osten, «wenn dies zu einem deutlichen Anstieg der
Ölpreise führt».
Beim Abwägen zwischen Sorgen um das Wachstum und die Inflation habe
die EZB einen Kompromiss getroffen, resümiert ING-Ökonom Carsten
Brzeski. «Für weitere Schnitte steht die Tür weit offen.»