Europa ringt um Einfluss auf US-Pläne für Ukraine Von Doris Heimann, Michael Evers, Michael Fischer und Jörg Blank, dpa

12.12.2024 18:02

Im Bemühen um ein Ende des Ukraine-Kriegs muss Europa den
Schulterschluss mit den USA suchen, mahnt Frankreichs Präsident
Macron. Mehrere Länder geben Kiew «eiserne Sicherheitsgarantien».

Warschau (dpa) - Im Ukraine-Krieg bemüht sich Europa angesichts des
Machtwechsels in den USA verstärkt um Einfluss bei einer von
Washington angestrebten Beendigung des Konflikts. Außerdem geht es um
Sicherheitsgarantien für das von Russland angegriffene Land,
einschließlich der Frage einer möglichen Friedenstruppe. Nach einem
Treffen mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk in Warschau mahnte
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Schulterschluss mit den
USA an.

«Wir müssen also sehr eng mit den Amerikanern und natürlich mit der
Ukraine zusammenarbeiten, um einen Weg zu finden, der die Interessen
der Ukraine, ihre Souveränität, und die Interessen der Europäer und
ihre Sicherheit berücksichtigt», sagte Macron. Die Koordination
zwischen den europäischen Ländern sei wichtig, wenn es um
Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach einer möglichen
Friedenslösung gehe.

Nato-Staaten beraten über Überwachung von Waffenstillstand

Auf die Diskussion über eine Friedenstruppe mit ausländischen
Soldaten in der Ukraine ging Macron nicht explizit ein. Nach
Informationen der Deutschen Presse-Agentur gibt es zwischen
Vertretern mehrerer Nato-Staaten seit Wochen vertrauliche Gespräche
darüber, wie ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine überwacht

werden könnte. Hintergrund ist das Szenario, dass Donald Trump als
US-Präsident versuchen könnte, die Ukraine und Russland zu
Verhandlungen zu drängen.

Tusk wies Medienberichte zurück, wonach sich sein Land nach einer
Beendigung des Krieges in der Ukraine an einer Friedenstruppe
beteiligen will. «Momentan planen wir keine solchen Aktionen». In
unbestätigten Berichten hatte es zuvor geheißen, bei dem Gespräch
könne es auch um Überlegungen gehen, nach dem Krieg eine
Friedenstruppe aus ausländischen Soldaten in der Ukraine zu
stationieren.

Polen will bei Friedenstruppe nicht dabei sein 

Der polnische Radiosender Rmf.fm berichtete, falls es zu einer
europäischen Friedenstruppe für die Ukraine kommen sollte, werde
Polen vermutlich das logistische Zentrum bereitstellen, jedoch keine
Soldaten. Auch aus historischen Gründen wolle Warschau keine
Streitkräfte in das Nachbarland entsenden: Vor dem Zweiten Weltkrieg
gehörten Teile der heutigen Westukraine zu Polen. Außerdem seien
10.000 polnische Soldaten derzeit zur Bewachung der Grenze mit
Belarus gebunden.

Deutschland und andere europäische Länder sichern der Ukraine
standhafte Unterstützung und den Einsatz für tragfähige
Sicherheitsgarantien zu, falls es nach der Amtsübernahme von
US-Präsident Donald Trump zu Verhandlungen über einen
Waffenstillstand kommen sollte. «Wir verpflichten uns, der Ukraine
eiserne Sicherheitsgarantien zu geben, zu denen auch die zuverlässige
Bereitstellung militärischer und finanzieller Unterstützung auf lange
Sicht gehört», heißt es in einer «Berliner Erklärung», auf die
sich
Vertreter von Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Spanien,
Großbritannien und der Ukraine sowie die EU-Außenbeauftragte Kaja
Kallas in Berlin geeinigt haben. Das Treffen war von der deutschen
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) organisiert worden. 

Deutsche Beteiligung bei Friedensmission offen

Auf Fragen nach einer Beteiligung europäischer oder deutscher
Soldaten an einer möglichen Friedensmission in der Ukraine
antworteten Baerbock und Kallas nicht. 

Unterdessen war einer in Warschau wieder nicht dabei: Bundeskanzler
Olaf Scholz. Es ist schon das dritte wichtige internationale Treffen
zur Ukraine, bei dem er fehlt. Ende November fand ein Gipfel der
nordischen und baltischen Staaten sowie Polens ohne ihn statt. Macron
wurde dagegen zugeschaltet. Vergangenes Wochenende redeten Macron,
der künftige US-Präsident Trump und der ukrainische Präsident
Wolodymyr Selenskyj am Rande der Wiedereröffnung der Kathedrale
Notre-Dame in Paris miteinander. Scholz ließ Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier aus protokollarischen Gründen den Vortritt
und blieb zu Hause. 

Beratungen wieder ohne Scholz

Und jetzt Warschau. Wieder ohne Scholz. Und das, obwohl sich der
Kanzler in den vergangenen Wochen massiv für diplomatische Bemühungen
um eine Friedenslösung in der Ukraine eingesetzt hat - aber eben
anders als die wichtigsten Verbündeten. Er warb vor allem für eine
neue Friedenskonferenz unter Einbeziehung Russlands und telefonierte
im November erstmals seit fast zwei Jahren wieder mit dem russischen
Präsidenten Wladimir Putin. Selenskyj kritisierte ihn dafür
außergewöhnlich scharf.

Und als Außenministerin Baerbock vor einer Woche in Brüssel laut üb
er
eine internationale Präsenz in der Ukraine bei einem Waffenstillstand
nachdachte, reagierte der Kanzler gereizt. Es sei «ganz unangemessen,
jetzt darüber zu spekulieren, was später mal bei einem verhandelten
Waffenstillstand und bei einer friedlichen Situation existiert.» Die
Gedankenspiele über eine Friedenstruppe spielten jetzt aber auch vor
dem Treffen zwischen Macron und Tusk eine Rolle.

Kanzler in «größter Intensität» um Ukraine bemüht

Auf die Diskussion in den deutschen Medien darüber, dass er bei
Macrons Ukraine-Aktivitäten nicht dabei ist, reagierte Scholz in
einem Interview «schwer irritiert». Er sei in «größter Intensit
ät» an
den Gesprächen zur Ukraine beteiligt, sagte er im Deutschlandfunk
Kultur. «Tatsächlich sind wir alle in engstem Austausch miteinander
zur Besprechung dieser Fragen.»

In Polen blickt man ohnehin mit Enttäuschung und Skepsis auf Scholz.
Dessen Anruf bei Putin im November hatte Tusk als wenig hilfreiche
«Telefondiplomatie» abgetan. In der polnischen Öffentlichkeit weckt
dieser Vorstoß tiefsitzende Ängste, dass sich Deutschland und
Russland über die Köpfe der Polen und Ukrainer hinweg verständigen
könnten.