Wie die EU künftig brauchbare Kleidung retten will Von Niklas Treppner, dpa

19.12.2024 04:30

Unverkaufte Kleidung verbrennen? Das soll in der EU bald verboten
sein. Die Händler zeigen sich gelassen, Experten stellen die
Wirksamkeit des Verbots infrage und die Bundesregierung berät.

Brüssel/Berlin (dpa) - Die Hose passt nicht, der Pulli kratzt und auf
dem Bild sah das Kleid auch irgendwie anders aus: Was uns nicht
gefällt, schicken wir zurück - oder kaufen es den Händlern gar nicht

erst ab. Entworfen, produziert, transportiert und dann unbenutzt
verbrannt?

In Zeiten der Fast-Fashion und der Massenproduktion ereilt viele
Kleidungsstücke dieses absurde Schicksal. Damit soll in der EU bald
Schluss sein. Vor etwa einem Jahr verständigten sich Unterhändler des
Europäischen Parlaments und die EU-Staaten auf eine entsprechende
Regelung in der Ökodesign-Verordnung. 

Demnach soll es den großen und mittelgroßen Textilhändlern bald
verboten sein, unverkaufte Produkte, wie etwa Schuhe, T-Shirts oder
Pullover ohne triftigen Grund zu zerstören. Aktuell passiert das laut
Schätzungen der Europäischen Umweltagentur (EEA) noch jedes Jahr mit
vier bis neun Prozent aller Textilprodukte. Das entspricht laut EEA
zwischen 260.000 und 590.000 Tonnen Textilien.

Umweltschäden, verschwendete Ressourcen und Müllberge

Das habe direkte negative Folgen für die Umwelt und das Klima: der
Energieaufwand für die Produktion, den Transport und die Lagerung.
Dazu kommen demnach Aufwendungen, weil die unverkauften Produkte
weitergereicht werden. Bei einer Verbrennung würden zudem
Treibhausgase und Schadstoffe freigesetzt - das aber oft nicht in der
EU. 

Die Umweltagentur schreibt: «Ein großer Teil der unverkauften
Produkte wird schließlich aus Europa exportiert. Der Großteil davon
landet in Afrika und Asien.» In Afrika gebe es Hinweise darauf, dass
die Kleidung auf offenen Deponien, oder unter freiem Himmel verbrannt
werde. 

Bundesregierung diskutiert Strafen 

Wer künftig Textilien zerstören will, soll laut EU umfangreiche
Angaben machen und triftige Gründe nennen müssen. Große Textilhändl
er
haben noch etwa bis zum Sommer 2026 Zeit, sich auf die neuen Regeln
und auch die damit verbundene Berichtspflichten einzustellen.
Mittelgroße Unternehmen haben dagegen noch vier Jahre länger Zeit.
Kleinere und Kleinstunternehmen sind vom Verbot ganz ausgenommen. 

Für die Kontrolle und Sanktionierung der EU-Verordnung braucht es in
Deutschland zudem noch nationale Regelungen. Ein Sprecher des
Bundesumweltministeriums teilt mit, dass diese auch nach dem
Ampel-Aus vorbereitet würden. «Die genauen Sanktionsmechanismen
stehen noch nicht fest, Bußgelder werden sicherlich dazugehören», so

der Sprecher. 

Unternehmen begrüßen neue Regeln 

Gleich mehrere große Textilunternehmen geben auf dpa-Anfrage an, die
EU-Verordnung zu befürworten. Tragbare Mode sollte niemals vernichtet
werden, beteuert etwa H&M. Ähnlich äußert sich auch Zalando. 

Kritik äußern die Textilhändler an dem Verbot und der damit
verbundenen Bürokratie kaum. In der Antwort des Otto-Konzerns heißt
es lediglich, es seien erhebliche bürokratische und finanzielle
Mehraufwände zu erwarten. Kik betont, dass mit Standards in allen
europäischen Ländern Flickenteppiche vermieden werden sollten. 

Ein Problem scheinen die strengeren Regelungen für die Unternehmen
nicht darzustellen. C&A, Kik und Kaufland teilen mit, der Anteil
unverkaufter Waren liege bei unter einem Prozent - teilweise im
Promillebereich. Otto und H&M sind sich darüber hinaus sicher, die
Anforderungen der EU bereits jetzt zu erfüllen. Zusätzliche Kosten
für Kunden, die bestellte Kleidung zurückschicken, kündigt kein
Unternehmen an.

Experte stellt Wirkung des Verbots infrage 

Dass kleinere Unternehmen vom Vernichtungsverbot ausgenommen sind,
stößt bei Naturschützern auf Kritik. Auch der Wissenschaftler Björn

Asdecker stellt aus diesem Grund infrage, ob das Verbot direkt dazu
führt, dass weniger unverkaufte Produkte vernichtet werden.

Asdecker beschäftigt sich an der Universität Bamberg mit der Logistik
von Rücksendungen. Bei den kleineren Unternehmen landeten oft die
Produkte, die alle vorherigen Händler nicht mehr zu Geld machen
konnten, sagt er. Am Ende dieser Kette stünden dann Firmen, die den
unverkäuflichen Teil der Produkte in die thermische Verwertung, das
heißt die Verbrennung, geben.

Hoffnung auf mehr Transparenz 

Dazu komme der Handel über Ländergrenzen hinweg, was die
Zusammenarbeit verschiedener nationaler Behörden notwendig mache.
«Das wird irgendwann schwer zu kontrollieren», sagt Asdecker. 

«Die Gefahr ist groß, dass alle weitermachen wie bisher, wenn die
Umsetzung des Verbots nicht konsequent kontrolliert wird», mahnt der
Greenpeace-Aktivist Moritz Jäger-Roschko. Retouren-Forscher Asdecker
sieht dennoch eine Chance in der Verordnung. Die von den Unternehmen
eingeforderte Transparenz könnte dazu führen, dass der
gesellschaftliche Druck auf die Unternehmen steigt. 

Unternehmen zur Produktion in Europa verpflichten? 

Maike Rabe von der Hochschule Niederrhein betont, die
Massenproduktion mit dem Ziel die Stückpreise zu senken, sei
inzwischen völlig losgelöst vom Bedarf der Verbraucherinnen und
Verbraucher. 

Sie spricht sich für eine bedarfsgerechte Herstellung der Textilien
vor Ort, also in Europa und nicht auf Verdacht in Asien, aus. «Ich
würde verlangen, von allen Unternehmen, die in Europa Produkte in den
Verkehr bringen möchten, dass 10 Prozent ihrer Produktion auch in
Europa hergestellt wird.» Das sei aber wohl eine Utopie, gibt Rabe
zu.