Sorgen um die Ukraine: Europäer bereiten sich auf Trump vor Von Regina Wank und Ansgar Haase, dpa

19.12.2024 18:05

Bald heißt der US-Präsident wieder Donald Trump, was gravierende
Folgen für den Ukraine-Krieg haben könnte. Der ukrainische Präsident

zeichnet ein düsteres Bild. Und was macht die EU?

Brüssel (dpa) - Einen Monat vor Donald Trumps Amtsantritt als
US-Präsident bereitet sich die EU auf die Übernahme von deutlich mehr
Verantwortung für die von Russland angegriffene Ukraine vor. Bei
einem Gipfeltreffen in Brüssel stand am Donnerstag die Frage im Raum,
wie das Land in die Lage versetzt werden könnte, mögliche
Friedensverhandlungen mit Moskau aus einer Position der Stärke zu
führen. 

Vor dem Hintergrund der schwierigen militärischen Lage im Osten des
Landes bat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Brüssel
die EU-Staaten um weitere Luftverteidigungssysteme, mit denen auch
Atomkraftwerke und Gasspeicher geschützt werden können. Außerdem warb

er dafür, sich neuen französischen Plänen für eine internationale
Truppenpräsenz in der Ukraine anzuschließen. Es sei entscheidend,
dass Europa einen bedeutenden Beitrag zu Sicherheitsgarantien für
sein Land leiste, sagte Selenskyj in einer Rede vor den Teilnehmern
eines EU-Gipfels in Brüssel. Details nannte er nicht. Als
wahrscheinlich galt, dass er sich auf Überlegungen für eine
Friedenstruppe zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstandes
bezieht. Denkbar war aber auch eine Truppenpräsenz für militärische
Ausbildungsprogramme für die ukrainischen Streitkräfte. 

Zudem forderte er die Partner eindringlich dazu auf, sein Land dabei
zu unterstützen, Schutzräume an Schulen einzurichten und bei der
Lebensmittelversorgung von Familien zu helfen. 

Angst vor erzwungenem Frieden

Hintergrund der Gespräche in der EU und unter europäischen
Nato-Staaten ist die Sorge, dass Donald Trump als US-Präsident
versuchen könnte, die Ukraine und Russland zu Verhandlungen zu
drängen. In Kiew wird befürchtet, dass er der Ukraine androhen
könnte, im Fall einer Weigerung die Militärhilfe einzustellen. Trump
hatte zuletzt angekündigt, den Krieg Russlands gegen die Ukraine
möglichst schnell beenden zu wollen. Für die Europäer stellt sich in

diesem Zusammenhang auch die Frage, ob sie im Fall der Fälle
Friedenstruppen für eine Absicherung eines Waffenstillstandes in die
Ukraine schicken würden.

Für den Fall, dass die USA ihre Unterstützung ganz einstellen
sollten, zeichnete Selenskyj ein düsteres Bild: «Es ist sehr
schwierig, die Ukraine ohne die Hilfe der USA zu unterstützen, und
genau das werden wir mit Präsident Trump besprechen, wenn er im
Weißen Haus ist», sagte er in Brüssel. «Ich glaube, nur gemeinsam

können die Vereinigten Staaten und Europa Putin wirklich stoppen und
die Ukraine retten.»

Scholz sieht gute Kooperationsmöglichkeiten mit Trump

Für die EU geht es deswegen auch darum, Trump davon zu überzeugen,
dass eine fortgesetzte Unterstützung der Ukraine auch im Interesse
der USA ist. Seit Wochen wird deswegen auch immer wieder darauf
hingewiesen, dass ein Sieg Russlands auch dessen Verbündeten China
stärken würde. China sieht Trump als Hauptkonkurrenten der USA an.

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich beim EU-Gipfel zuversichtlich,
dass auch unter Trump eine gute Kooperation zwischen den USA und
Europa möglich sein werde. Mit Blick auf die Bemühungen um eine
Beendigung des Krieges bekräftigte er, dass es keine Entscheidungen
über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geben dürfe.
«Das gilt für uns wie für alle anderen.»

Scholz rief dazu auf, Einigkeit zu zeigen. Es müsse klar sein, dass
man bereit sei, der Ukraine solange Unterstützung zu leisten, wie
diese gebraucht werde. Scholz sagte, er habe bei den Bündnispartnern
dafür geworben, weitere Hilfe mit Luftverteidigung, Artillerie oder
auch Munition zu prüfen. Für Deutschland versprach er: «Wir werden
auch weiter der größte Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben.»

Alleine die zugesagten oder gelieferten Rüstungsgüter hätten einen
Wert von 28 Milliarden Euro.

EU ohne einheitliche Linie

Ob es die von Scholz geforderte Einigkeit geben kann, ist allerdings
höchst fraglich: Mit Ungarn unterstützt auch einer der
Mitgliedstaaten die Politik Trumps. Regierungschef Viktor Orbán lehnt
es bislang ab, die Ukraine weiter militärisch zu unterstützen. Es
muss deswegen damit gerechnet werden, dass er mögliche neue Pläne für

einen Ausbau der EU-Unterstützung mit einem Veto blockiert. Bereits
derzeit können wegen der ungarischen Haltung knapp sieben Milliarden
Euro an EU-Mitteln nicht verwendet werden. 

Orban hatte jüngst auch für eine weihnachtliche Waffenruhe und einen
großangelegten Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland
geworben und behauptet, Russland sei bereit, einem solchen Vorschlag
zuzustimmen. Selenskyj sagte dazu, dass Orban kein Mandat habe, die
Verhandlungen mit Putin zu organisieren.

Vertrauliche Gespräche beim Nato-Generalsekretär

Vor den Gesprächen auf EU-Ebene hatte es am späten Mittwochabend
bereits vertrauliche Gespräche im Nato-Rahmen gegeben. An einem von
Nato-Generalsekretär Mark Rutte organisierten Treffen nahmen neben
Scholz auch die Staats- und Regierungschefs von Polen, Italien,
Dänemark und den Niederlanden teil. Zudem waren Selenskyj, die
Außenminister aus Frankreich und Großbritannien sowie
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident
António Costa dabei. 

Ob und wenn ja, wie konkret es bei den Gesprächen auch um die
mögliche Entsendung von Friedenstruppen zur Absicherung einer
möglichen Waffenruhe in der Ukraine ging, blieb unklar. Rutte warnte
in diesem Zusammenhang auch vor großen öffentlichen Debatten über
einen möglichen Deal zwischen der Ukraine und Russland. «Wenn wir
jetzt untereinander diskutieren, wie ein solches Abkommen aussehen
könnte, machen wir es den Russen einfach. Sie sitzen entspannt in
ihren Sesseln, hören unseren Diskussionen zu, rauchen genüsslich eine
Zigarre und sehen sich das alles im Fernsehen an», sagte er. «Das
halte ich nicht für hilfreich.»

Rutte fügte hinzu, dass es in Demokratien natürlich unvermeidlich
sei, diese Dinge offen zu diskutieren. Aus seiner Sicht wäre es aber
klug, das «etwas einzudämmen» und sich auf das Wesentliche zu
konzentrieren - also Selenskyj und Ukraine so stark zu machen, dass
sie Gespräche mit den Russen aufnehmen könnten, wenn sie selbst das
für richtig hielten.