Asyl für Ex-Minister: Polen ruft Botschafter in Ungarn zurück
20.12.2024 14:43
Ein früherer polnischer Vize-Minister flieht vor Strafverfolgung nach
Ungarn und erhält dort Asyl. Die Regierung in Warschau reagiert
prompt.
Warschau (dpa) - Nachdem Ungarn einem von Polen per europäischem
Haftbefehl gesuchten Mitglied der früheren PiS-Regierung Asyl gewährt
hat, nehmen die Spannungen zwischen beiden Ländern zu. Der polnische
Botschafter in Budapest wurde auf unbestimmte Zeit nach Warschau
zurückbeordert, wie ein Sprecher des Außenministeriums sagte.
Außerdem habe man Ungarns Botschafter einbestellt und ihm eine
Protestnote übergeben.
Am Donnerstag hatte Ungarn dem einstigen polnischen
Vize-Justizminister Marcin Romanowski Asyl gewährt. Zuvor hatte ein
Gericht in Warschau dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben,
nach dem 48-Jährigen mit einem europäischen Haftbefehl zu fahnden.
Verdacht auf Veruntreuung von Millionen
Die polnische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Romanowski wegen elf
Straftatbeständen, darunter auch wegen des Verdachts der
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Als
stellvertretender Justizminister soll er Millionenbeträge aus einem
Fonds für Verbrechensopfer in Projekte geschleust haben, von denen
sich der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro einen Nutzen für die
Partei versprach. Romanowski bestreitet alle Vorwürfe.
Die nationalkonservative PiS, deren Name «Prawo i Sprawiedliwosc»
übersetzt Recht und Gerechtigkeit bedeutet, regierte Polen von 2015
bis 2023. In dieser Zeit baute sie das Justizsystem maßgeblich um,
was sie auf Konfrontationskurs mit der EU-Kommission brachte. Im
Oktober 2023 verlor die PiS die Parlamentswahl und ist seitdem die
größte Oppositionspartei. Die Mitte-Links-Koalition von
Regierungschef Donald Tusk bemüht sich seitdem, die umstrittenen
Justizreformen der PiS-Regierung wieder rückgängig zu machen.
Scharfe Worte von Tusk gegen Orban
Polens Regierungschef Tusk kritisierte Ungarn scharf. Er habe nicht
geahnt, dass korrupte Beamte auf der Flucht vor Strafverfolgung
mittlerweile zwischen Schutz beim belarussischen Machthaber Alexander
Lukaschenko oder bei Ungarns Regierungschef Viktor Orban wählen
könnten, sagte Tusk in Brüssel. «Diejenigen, die gestohlen haben,
diejenigen, die korrupt sind, suchen Zuflucht in Ländern, die von
Politikern regiert werden, die ihnen ähnlich sind.»
Romanowski meldete sich im polnischen Sender TV Republika zu Wort.
Dass Ungarn ihm Asyl gewährt habe, bestätigt seiner Ansicht nach,
dass «wir es in Polen mit politischer Verfolgung zu tun haben.»
Staatsanwälte und Richter in seinem Heimatland seien politisch
gesteuert.
EU-Kommission: Haftbefehle müssen durchgesetzt werden
Ein Sprecher der EU-Kommission wollte den konkreten Fall nicht
kommentieren. Er betonte aber, dass die EU-Mitgliedstaaten
verpflichtet seien, europäische Haftbefehle durchzusetzen. In diesem
Fall würde dies bedeuten, dass ein Richter in Ungarn den europäischen
Haftbefehl prüfen müsste, um festzustellen, ob Gründe für eine
Ablehnung vorliegen. Die endgültige Entscheidung über die
Vollstreckung des europäischen Haftbefehls müsste dann innerhalb von
60 Tagen getroffen werden.
Was den Aspekt des Asyls betreffe, so sei das Niveau des Schutzes der
Grundrechte und Freiheiten in allen EU-Mitgliedstaaten so hoch, dass
sie alle als sichere Länder in Asylfragen angesehen würden. Ein
Mitgliedstaat könne daher einen Asylantrag eines Staatsangehörigen
eines anderen Mitgliedstaates nur unter sehr außergewöhnlichen
Umständen für zulässig erklären.