So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten Von Christiane Oelrich, dpa

20.12.2024 15:36

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch
die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das
für Pendler und Studenten? Die wichtigsten Antworten.

Bern (dpa) - Die Grundsatzeinigung auf eine engere Kooperation
zwischen der Europäischen Union und der Schweiz gilt als Meilenstein
in den teils dornigen Beziehungen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen sprach von einem «Kraftpaket für die Zukunft». Die
Schweiz ist auf allen Seiten umgeben von EU-Staaten, möchte aber
nicht beitreten. Was man zum EU-Schweiz-Verhältnis wissen muss:

Warum ist die Schweiz nicht EU-Mitglied?

Die wählerstärkste Partei, die rechte SVP, kämpft gegen jede
Annäherung. Sie spricht bei dem neuen Verhandlungspaket von einem
«Unterwerfungsvertrag». Sie macht Stimmung gegen Ausländer und
fürchtet um den Wohlstand des Landes. Die SVP war auch treibende
Kraft hinter dem Volksvotum 1992 gegen einen Beitritt zum
Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der mit 50,3 Prozent abgelehnt
wurde. Die SVP bekam bei der Wahl 2023 knapp 28 Prozent der Stimmen. 

Was will sie dann von der EU?

«Für die Schweiz ist ein maßgeschneiderter Zugang zum EU-Binnenmarkt

wichtig», so das Außenministerium. Und Michael Grabher,
Geschäftsführer des Pharmaunternehmens Swiss Can, sagt: «Wohlstand
können wir nur durch das Ausland erreichen, weil wir sonst einfach zu
klein sind.» Die Schweiz hat schon weitgehend Zugang zum Binnenmarkt,
das neue Verhandlungspaket soll die älteren Abkommen aber
modernisieren.

Die Schweiz zahlt der EU dafür aber keine Beiträge? 

Nein, aber sie kann natürlich auch nicht mitbestimmen. Bislang hat
sie im Jahr etwa 140 Millionen Euro zur Stärkung strukturschwacher
Regionen in den östlichen EU-Mitgliedsländern gegeben, freiwillig,
wie betont wird. Das soll nun steigen, auf verbindliche 375 Millionen
Euro pro Jahr.

Die Personenfreizügigkeit gilt aber doch schon wie unter EU-Ländern? 


Ja, im Gegenzug für den Zugang zum Binnenmarkt können EU-Bürgerinnen

und Bürger unter bestimmten Auflagen in der Schweiz arbeiten und
umgekehrt. Neu verpflichtet sich die Schweiz, mit wenigen Ausnahmen,
auch künftiges EU-Recht dazu zu übernehmen. Eine bestehende
Ausnahmeregel wird präzisiert: Die Freizügigkeit kann bei schweren
wirtschaftlichen Problemen im gegenseitigen Einvernehmen beschränkt
werden. Für Zweifelsfälle gibt es ein Schiedsgericht.

Die Schweiz gehört auch zum EU-Schengenraum ohne systematische
Grenzkontrollen. Dies und viele andere Kooperationen sind in fünf
Binnenmarkt- und rund 20 weiteren bilateralen Verträgen verankert. 

Gibt es mit dem neuen Verhandlungspaket weitere Kooperationen?

Ja, zum Beispiel können europäische Studenten künftig zu gleichen
Konditionen an Schweizer Unis studieren wie Einheimische. Die Schweiz
wird in den europäischen Strommarkt integriert, es gibt neue
Kooperation beim Gesundheitsschutz und der Weltraumforschung. Auch,
wenn das Paket noch lange nicht in Kraft ist, können Schweizer
Forscherinnen und Forscher schon ab 1. Januar 2025 wieder an
EU-Programmen teilnehmen. 

Zudem werden die teils 25 Jahre alten Abkommen aktualisiert, etwa mit
der dynamischen Rechtsübernahme: Das heißt, EU-Änderungen werden
künftig umgehend auch in der Schweiz umgesetzt. 

Was haben die EU und Deutschland von der Kooperation mit der Schweiz?

Die EU will den Zugang der EU-Bürger zum lukrativen Schweizer
Arbeitsmarkt sichern. Die Löhne sind dort deutlich höher. Ein
Vergleichsdienst für Grenzgänger nennt als durchschnittliches
Haushaltseinkommen in der Schweiz gut 10.000 Euro im Monat, in
Deutschland nur die Hälfte. Allerdings sind die Lebenshaltungskosten
in der Schweiz auch deutlich höher und es gibt zum Beispiel keine
Arbeitgeberbeiträge zur Krankenkasse. Allein aus Baden-Württemberg
arbeiten rund 60.000 Pendlerinnen und Pendler in der Schweiz. 

Die Schweiz ist nach den USA, China und Großbritannien der
viertgrößte Handelspartner der EU. Unternehmen in der Pharma-, Tech-
und vielen Zulieferbranchen sind schon jetzt grenzüberschreitend
verflochten - je enger die Bindung, desto weniger Bürokratie. 

Was hat die Schweiz von der Kooperation mit der EU?

Neben dem Zugang zum Binnenmarkt kann sie zum Beispiel am
CO2-Emissionshandel der EU teilnehmen, kann Asylbewerber unter
Umständen in EU-Länder zurückschicken und profitiert von
Polizeizusammenarbeit. Zudem will sie an Forschungsprogrammen und dem
europäischen Strommarkt teilnehmen. Der Handel mit der EU macht 59,2
Prozent ihres gesamten Warenhandelsvolumens aus, allein Deutschland
schlägt mit 19,8 Prozent zu Buche, vor den USA und China. 

Steht die EU-Schweiz-Kooperation dann ab 2025 auf neuen Füßen? 

Weit gefehlt. Jetzt geht es erst einmal an das Kleingedruckte. Im
Frühjahr könnte etwas Unterschriftsreifes vorliegen, dann käme das
Parlament in Bern zum Zuge. Dort wird die SVP alles so lange
hinauszögern, wie es geht. Im Anschluss will sie eine
Volksabstimmung. Ob das vor den Wahlen 2027 passiert, ist ungewiss.
Erst nach einer Annahme durch das Volk könnte das Paket in Kraft
treten. Auf der EU-Seite muss der Ministerrat zustimmen.