Studie: Deutsches Klimaziel erreicht - aber nicht EU-Ziel Von Martina Herzog, dpa

07.01.2025 10:12

Beim Klimaschutz ist Deutschland auf Kurs. Allerdings nur, was das
nationale Ziel angeht. Und in zwei wichtigen Bereichen geht es
weiterhin nicht richtig voran.

Berlin (dpa) - Deutschland hat nach Berechnungen der Denkfabrik Agora
Energiewende sein selbst gestecktes Klimaziel im vergangenen Jahr
erreicht - europäische Vorgaben aber verfehlt. Grund seien fehlende
Fortschritte in den Bereichen Gebäude und Verkehr, heißt es in einem
in Berlin veröffentlichten Bericht.

Insgesamt hat Deutschland im vergangenen Jahr demnach 656 Millionen
Tonnen an CO2-Äquivalenten ausgestoßen - zur besseren
Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in Kohlendioxid (CO2)
umgerechnet. Das sind knapp drei Prozent weniger als im Vorjahr mit
674 Millionen Tonnen und würde einen neuen historischen Tiefstand
darstellen. Die Emissionen wären damit das dritte Jahr in Folge
gesunken. Ähnlich niedrig seien sie zuletzt in den 1950er Jahren
gewesen, hieß es. Im Vergleich zu 1990 wäre der deutsche
Treibhausgas-Ausstoß damit um 48 Prozent gesunken.

Wenig Fortschritte bei Gebäuden und Verkehr

Zugleich hat die Bundesrepublik nach Einschätzung der Denkfabrik
allerdings sein EU-Klimaziel um zwölf Millionen Tonnen CO2 gerissen.
Die Nachfrage nach klimafreundlicheren Technologien wie Wärmepumpen
und Elektroautos brach im vergangenen Jahr ein. «Ein zentraler Grund
für den Mangel an strukturellem Klimaschutz in den Sektoren
Industrie, Gebäude und Verkehr ist die Verunsicherung bei Haushalten
und Unternehmen», erklärte der Direktor von Agora Energiewende
Deutschland, Simon Müller. Das habe zu Zurückhaltung bei
Investitionen geführt. 

Zwar sanken die Emissionen sowohl bei Gebäuden als auch im Verkehr um
je zwei Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr. Das sei aber vor
allem der milden Witterung mit niedrigerem Heizbedarf geschuldet
sowie dem geringeren Lkw-Verkehr wegen der Wirtschaftsflaute. Der
Pkw-Verkehr habe zugelegt. Das im deutschen Klimaschutzgesetz
festgelegte Unterziel für den Gebäudebereich wurde demnach um neun
Millionen Tonnen CO2 überschritten, beim Verkehr waren es sogar 19
Millionen Tonnen. Trotz schlechter Wirtschaftslage stiegen die
Emissionen in der Industrie um drei Millionen Tonnen CO2 an, was
Agora besonders auf einen höheren Verbrauch fossiler Brennstoffe in
der energieintensiven Industrie zurückführt. Das deutsche Klimaziel
habe der Sektor aber um zehn Millionen Tonnen CO2 unterschritten und
damit geschafft.

Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, seinen Ausstoß an
Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu
senken. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein, also nicht mehr
Treibhausgase ausstoßen, als wieder gespeichert werden können. Nach
europäisch vereinbarten Vorgaben wiederum muss Deutschland seine
Emissionen bis 2030 um die Hälfte senken - allerdings im Vergleich zu
2005.

Warum der Treibhausgas-Ausstoß gesunken ist

Den Löwenanteil von 80 Prozent an den fallenden Emissionen verorten
die Autoren des Berichts in der Energiewirtschaft mit der Umstellung
auf Erneuerbare. So seien im vergangenen Jahr Kohlekraftwerke mit
einer Gesamtkapazität von 6,1 Gigawatt stillgelegt worden, was 16
Prozent der installierten Kohle-Kapazität entsprochen habe. Zugleich
seien 55 Prozent des Bruttostromverbrauchs durch Erneuerbare gedeckt
worden, die auch bei den gestiegenen Importen knapp die Hälfte
ausmachten. Das milde Wetter und die schwächelnde Wirtschaft hätten
ebenso eine Rolle gespielt.

Versäumnisse beim Klimaschutz könnten teuer werden

Der CO2-Preis macht Tanken und Heizen mit fossilen Brennstoffen in
Deutschland schon heute teurer. Ab 2027 könnte es nach Einschätzung
von Experten zu Preissprüngen kommen, wenn Unternehmen Rechte zum
CO2-Ausstoß vorweisen müssen und untereinander damit handeln können.
 

Und auch das Verfehlen des EU-Ziels würde die Bundesregierung
voraussichtlich Milliarden kosten. «Wenn Deutschland sein
europäisches Emissionsbudget bis 2030 reißt, drohen Strafzahlungen
nach Brüssel», sagte Müller. «Zwar könnte die Bundesregierung Rec
hte
zum CO2-Ausstoß von anderen Staaten kaufen, aber es ist unklar, wie
teuer solche Zertifikate sein werden und ob sie überhaupt im nötigen
Ausmaß zur Verfügung stehen. Deutschland sollte sich nicht auf der
Erwartung ausruhen, dass andere Länder ihre Ziele übererfüllen.» 


Deutschland muss sich noch besser auf Erneuerbare einstellen

Die schwankende Erzeugung von Energie aus Wind und Sonne ist eine
Herausforderung, insbesondere durch sogenannte Dunkelflauten, in
denen weder die Sonne scheint noch der Wind weht. «Zeiten mit viel
Wind und Sonne führen zu viel Erneuerbarem Strom, der zu niedrigen
bis negativen Strompreisen führen kann», sagte Müller. Unter dem
Strich passiere das häufiger als Dunkelflauten. «Insgesamt fällt aufs

Jahr gerechnet der preissenkende Effekt solcher Grünstromphasen
doppelt so stark ins Gewicht wie die Preisspitzen der
Dunkelflauten.» 

Es seien aber weitere Anpassungen nötig angesichts des wachsenden
Anteils Erneuerbarer: mehr Stromspeicher, ein schnellerer Einbau
digitaler Stromzähler, mit denen sich der Verbrauch leichter dem
Preis anpassen lässt, sowie Anreize für eine flexiblere Nachfrage bei
industriellen Großverbrauchern. 

Privatleute können mit Stromanbieter-Wechsel sparen

Die Strompreise an den Börsen seien im Vergleich zum Vorjahr deutlich
gesunken. Auch für Verbraucher wurde es günstiger nach den hohen
Preisen von 2022 und 2023. Privathaushalte könnten mit neuen
Verträgen sparen, teils mehrere Hundert Euro. Bei der Industrie
ergibt sich ein gemischtes Bild: Für kleinere Industrie- und
Gewerbebetriebe liege der Strompreis wieder auf dem Niveau von 2021,
so Agora. Große Verbraucher zahlten aber weiterhin deutlich mehr als
vor der Krise.

Die nächste Bundesregierung sollte aus Sicht Müllers Anreize setzen
für mehr Klimaschutz. So könnten etwa Betreiber von Wärmepumpen
weniger Netzentgelte für den Strom bezahlen müssen. Für Elektroautos

könnten die Steuerregelungen vorteilhafter gestaltet werden: Gerade
kleine E-Autos seien im Vergleich zum Verbrenner auf die gesamte
Lebensdauer noch teurer, hier könne eine gezielte Förderung helfen.
Und mit einer Kaufprämie auch für gebrauchte E-Pkw könnten sich
zugleich mehr Menschen Elektroautos leisten. 

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne)
lobte die Erfolge. Jetzt gelte es, Kurs zu halten. «Die Strompreise
müssen weiter runter: Netzentgelte runter, Stromsteuer abschaffen.
Beim Verkehr müssen wir noch mehr tun.» Das Deutschlandticket wirke,
beim Hochlauf der E-Mobilität müsse man besser werden. Im
Gebäudebereich gebe es steigende Förderanträge für den Umstieg auf

klimafreundliche Heizungen. «Es ist aber ein langer Weg.
Ankündigungen, die Förderung zusammenzustreichen oder gar
abzuschaffen, sind hier Gift.»

Wie Agora rechnet

Agora Energiewende stützt sich für den Bericht auf Daten der AG
Energiebilanzen, die bis in die zweite Dezemberhälfte reichen,
ergänzt durch Schätzungen für die verbleibende Zeit bis zum
Jahresende. Die AG Energiebilanzen ist ein Zusammenschluss von
Energieverbänden und Forschungsinstituten, der regelmäßig Daten zu
Erzeugung und Verbrauch von Energie in Deutschland veröffentlicht.