Faktenchecker adé: Meta öffnet die Schleusen Von Andrej Sokolow und Luzia Geier, dpa
07.01.2025 23:44
Mark Zuckerberg kündigt die Abkehr vom bisherigen Moderationsmodell
bei Facebook, Instagram und Threads an. Und das ist längst nicht
alles.
Menlo Park (dpa) - Der Facebook-Konzern Meta will bei der Verbreitung
von Falschbehauptungen auf seinen Plattformen künftig weniger stark
eingreifen als bisher. Beschränkungen bei kontroversen Themen wie
Migration sollten aufgehoben werden, kündigte Gründer und Konzernchef
Mark Zuckerberg an. Er sprach von einer «Zensur», die zu weit
gegangen sei. Die Kooperation mit Faktencheckern wird - zunächst in
den USA - beendet.
Zuckerberg ist bewusst, dass die Änderungen Meta auf
Konfrontationskurs mit der EU bringen, wo es ein Gesetz gegen
Falschinformationen und Hassrede auf Online-Plattformen gibt. Der
Meta-Chef hofft auf den künftigen US-Präsidenten Donald Trump, um
Druck gegen die Regeln zu machen, die er als «institutionalisierte
Zensur» bezeichnete. Der Konzern stellte aber klar, es gebe keine
«unmittelbaren Pläne», die Faktenchecker hierzulande abzuschaffen.
Zuckerberg folgt damit der Linie des Tech-Milliardärs Elon Musk, der
nach der Übernahme von Twitter Einschränkungen für Äußerungen auf
der
Plattform weitgehend aufhob. Musks X, wie die Plattform inzwischen
heißt, wurde seitdem von Online-Forschern vorgeworfen, Hassrede
zuzulassen. X weist das zurück.
«Community Notes» statt Faktencheckern
Statt Faktencheckern will sich Meta künftig darauf verlassen, dass
Nutzer selbst Bewertungen von Äußerungen abgeben. So funktioniert das
auch bei Musks X. Das System für solche «Community Notes» wird gerade
aufgesetzt. Bevor es international ausgerollt wird, soll es in den
USA eingeführt werden.
In Deutschland gibt es laut dem Konzern keine unmittelbaren Pläne,
die Zusammenarbeit mit Faktencheckern zu beenden. Meta sind
allerdings in Europa weitgehend die Hände durch das Digitalgesetz
Digital Services Act (DSA) zur Verantwortung von Online-Plattformen
gebunden.
«Mehr schlechte Dinge» als Folge
Zu Meta gehören neben Facebook auch die Foto- und Video-Plattform
Instagram, die Chatdienste WhatsApp und Messenger sowie die
X-Alternative Threads. Zuckerberg räumte ein, dass es mit dem neuen
Ansatz «mehr schlechte Dinge» auf den Plattformen geben werde. Dafür
werde man aber weniger Fehler mit übertriebener Moderation machen.
Zuckerberg verwies darauf, dass nach der Präsidentenwahl 2016 mit
Trumps erstem Sieg die Verbreitung von Falschinformationen im Netz
als großes Problem gesehen worden sei. Man habe versucht, diese
Bedenken anzugehen, ohne selbst zu Richtern über Wahr und Unwahr zu
werden - aber die Faktenchecker seien zu politisch voreingenommen
gewesen und hätten viel Vertrauen zerstört.
Der Meta-Chef hatte bereits im vergangenen Jahr kritisiert, dass die
US-Regierung von US-Präsident Joe Biden zu viel Druck gemacht habe,
Falschinformationen zum Coronavirus von den Plattformen zu entfernen.
Höhere Schwelle für Eingreifen
Die Beschränkungen sollen beim Thema Migration und auch bei
Geschlechterfragen aufgehoben werden, da diese laut Zuckerberg «nicht
mehr im Einklang mit der öffentlichen Meinung» stünden. Auch die
Durchsetzung der Regeln soll reformiert werden: Geringfügige Verstöße
würden künftig erst nach Nutzerbeschwerden geprüft, und Algorithmen
sollen nur bei einer höheren Schwelle eingreifen. Zusätzlich wolle
Meta politische und gesellschaftliche Themen wieder stärker in den
Fokus rücken.
Ein weiterer Schritt ist die Verlagerung der Moderationsteams aus dem
liberalen Kalifornien ins konservative Texas.
Weiße Flagge vor Trump?
Zuckerbergs Vorstoß ist zugleich eine Annäherung an Trump und dessen
Republikanische Partei. Sie hatten seit Jahren behauptet, dass bei
Meta und anderen Online-Plattformen «konservative Ansichten»
unterdrückt würden. Trump hatte Facebook im Wahlkampf als «Feind des
Volkes» bezeichnet und gedroht, Zuckerberg würde den Rest des Lebens
im Gefängnis verbringen, wenn man zu dem Schluss komme, dass Meta in
den Wahlkampf eingreife. Zuckerberg besuchte Trump nach dem Wahlsieg.
Trump sieht Metas Kurswechsel auch als seinen Verdienst. Auf die
Frage, ob er glaube, dass Zuckerberg direkt auf die Drohungen
reagiert habe, sagte der künftige US-Präsident bei einer
Pressekonferenz: «Wahrscheinlich.»
Kurz vor der Ankündigung gab es auch eine wichtige Änderung in der
Führungsetage des Konzerns. Passend zum bevorstehenden Machtwechsel
in Washington ernannte der Konzern Joel Kaplan - einen ehemaligen
Mitarbeiter des republikanischen Ex-Präsidenten George W. Bush - zum
neuen Politik-Chef.
Kehrtwende vor Stunde der Wahrheit für Tiktok
Metas Kehrtwende kommt vor einem Schlüsselmoment für die Zukunft des
Konkurrenten Tiktok. Am 19. Januar droht der App per Gesetz das Aus
in den USA, wenn sie nicht verkauft wird. Am Freitag will das Oberste
Gericht der USA über den Fall beraten. Trump, der einst selbst einen
Tiktok-Verkauf erzwingen wollte, sprach sich zuletzt gegen ein Verbot
der Video-App aus, auch weil sie ein Gegengewicht zu Metas Apps
darstelle und für ihn im Wahlkampf nützlich gewesen sei. Mit mehr
Freiheiten auf Facebook und Co. könnte Tiktok für das Trump-Lager nun
weniger interessant werden.
«EU wird sich das genau anschauen»
Bundesdigitalminister Volker Wissing (parteilos) sagte am Rande der
Technikmesse CES in Las Vegas, er vertraue und setze darauf, dass die
EU-Kommission sich das Vorgehen von Meta «genau anschaut, es streng
prüft und gegebenenfalls die notwendigen Maßnahmen einleitet». Er
habe in dieser Sache schon einen Austausch mit der neuen
EU-Kommissarin Henna Virkkunen. «Ich weiß, dass sie diese Fragen sehr
ernst nimmt, und sie hat meine volle Unterstützung und mein
Vertrauen.»