Baerbock stellt Syrien Lockerung von Sanktionen in Aussicht Von Andreas Hoenig und Johannes Sadek, dpa
12.01.2025 16:42
Arabische Staaten, die Türkei und EU-Staaten wie Deutschland beraten
in Saudi-Arabien darüber, wie sie sich zu Syrien positionieren
sollen. Die Lage nach dem Sturz von Assad ist weiterhin schwierig.
Riad (dpa) - Außenministerin Annalena Baerbock hat Syrien nach dem
Sturz von Langzeit-Machthaber Baschar al-Assad eine Lockerung von
EU-Sanktionen in Aussicht gestellt. Die Grünen-Politikerin sagte am
Rande einer internationalen Konferenz in der saudi-arabischen
Hauptstadt Riad: «Die Chance auf eine Zukunft für Syrien dürfen wir
als internationale Gemeinschaft bei all der berechtigten Skepsis
nicht verstreichen lassen. Daher gehen wir als Deutschland und als
Europa jetzt erste konkrete Schritte.»
«Sanktionen gegen den Assad-Clan und seine Schergen, die während des
furchtbaren Bürgerkriegs in Syrien schwere Verbrechen begangen haben,
müssen aufrechterhalten bleiben», sagte Baerbock. Die Bundesregierung
schlage aber in der Europäischen Union vor, einen «smarten Ansatz» zu
wählen und die syrische Bevölkerung jetzt schnell zu unterstützen,
damit es in Geschäften oder auf Märkten etwas zu essen zu kaufen
gebe, damit es mehr Strom gebe und der Wiederaufbau angegangen werden
könne. «All das fördert Stabilität und sichert den friedlichen
Machtübergang.»
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas schrieb auf der Plattform X, man
werde prüfen, wie Sanktionen gelockert werden könnten.
Dies müsse jedoch mit greifbaren Fortschritten bei einem politischen
Übergang einhergehen, der Syrien in seiner ganzen Vielfalt
widerspiegle.
Die EU hatte ab 2011 als Reaktion auf das gewaltsame Vorgehen der
Assad-Regierung gegen die Zivilbevölkerung Sanktionen gegen Syrien
verhängt. Diese richten sich gegen die nun gestürzte Regierung und
deren Unterstützer sowie gegen Wirtschaftssektoren, von denen die
Regierung profitierte. Zu den EU-Maßnahmen zählen etwa ein Verbot von
Investitionen in die syrische Ölindustrie und in Unternehmen, die an
der Errichtung neuer Kraftwerke zur Stromerzeugung in Syrien
beteiligt sind, ein Einfuhrverbot für Rohöl aus Syrien, ein
Waffenembargo sowie weitere Ausfuhrbeschränkungen.
Saudi-Arabiens Außenminister Faisal bin Farhan sprach sich ebenfalls
für die Aufhebung der Sanktionen aus. Eine Fortsetzung werde die
Bemühungen beim Wiederaufbau behindern, sagte er.
Phase des Umbruchs
An der Konferenz in Riad nahmen neben Außenministern arabischer
Staaten auch Syriens De-facto-Außenminister Asaad al-Schaibani, der
türkische Außenminister Hakan Fidan und der britische Außenminister
David Lammy teil. Aus der EU war neben Baerbock unter anderem die
EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas vor Ort.
Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad am 8.
Dezember 2024 befindet sich Syrien in einer Phase des politischen
Umbruchs und der Neuorientierung. Seitdem wird das immer noch
zersplitterte Land von einer Übergangsregierung geführt. Sie entstand
aus der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die Assad durch
eine von ihr angeführte Rebellenoffensive in die Flucht nach Russland
zwang. Syrien ist konfessionell stark gespalten. Ausländische Staaten
haben teils großen Einfluss auf die Entwicklungen in dem Land, in dem
fast 14 Jahre lang ein Bürgerkrieg tobte.
In Syrien und international wird in diesen Wochen genau beobachtet,
ob HTS die Rechte etwa von Frauen oder religiösen Minderheiten im
Land respektieren und diese am öffentlichen Leben teilhaben lassen
wird. Vor allem im Norden des tief gespaltenen Landes kommt es
unterdessen weiterhin zu Kämpfen. Kurdische Milizen kämpfen dort
gegen von der Türkei unterstützte Kämpfer, auch die türkische
Luftwaffe und Artillerie ist dabei im Einsatz. Experten zufolge hat
vor allem die Türkei durch den Umbruch in Syrien an Einfluss
gewonnen.
Baerbock sagt weitere humanitäre Unterstützung zu
Baerbock sagte weitere Hilfe zur Verbesserung der humanitären Lage in
Syrien zu. Deutschland werde das UN-Welternährungsprogramm und
verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen noch einmal mit
zusätzlichen 50 Millionen Euro für Essen, Notunterkünfte und
medizinische Versorgung unterstützen, sagte Baerbock.
Die humanitäre Lage sei weiterhin katastrophal, die gegenwärtige
Situation sei volatil. «Für den so wichtigen politischen Übergang
braucht es dringend eine Verbesserung der Lebensumstände der Menschen
in den unterschiedlichen Regionen.» Baerbock nannte außerdem eine
Aufarbeitung von Verbrechen der Assad-Regierung. Menschenrechtler
haben unter Assad und seinem Vater Hafis, die gemeinsam mehr als 50
Jahre regierten, systematische Tötungen, Folter und andere Verbrechen
in Tausenden Fällen dokumentiert.
Der Bürgerkrieg in Syrien hat für die Menschen, Infrastruktur und die
Wirtschaft des Landes verheerenden Folgen gehabt. 16 Millionen
Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, 70 Prozent der
Bevölkerung leben in Armut. Die Wirtschaft ist seit 2011 um 85
Prozent geschrumpft. Der Wiederaufbau könnte schätzungsweise zwischen
250 und 400 Milliarden US-Dollar kosten. Etwa 13 Millionen Menschen
wurden im Land vertrieben oder flüchteten ins Ausland.
Schwieriger Übergang
Deutschland und Europa stünden an der Seite der Syrerinnen und Syrer
für ein freies und friedliches Syrien für alle Menschen, sagte die
Außenministerin. Dies habe sie bereits bei ihrem Besuch in Damaskus
vor gut einer Woche deutlich gemacht. Es brauche einen politischen
Dialog unter Einbeziehung aller Syrerinnen und Syrer, egal welcher
Religion, welcher ethnischen Herkunft, egal ob Mann oder Frau. Das
Treffen in Riad sei wichtig, dass sich zentrale europäische Partner
mit den Partnern aus der Region intensiv austauschten.
Syrien brauche eine starke internationale Unterstützung, machte
Baerbock deutlich. Man müsse «in dieser absolut volatilen Situation»
nicht nur verhindern, dass es zu weiteren gewalttätigen
Auseinandersetzungen kommt, sondern vor allen Dingen, dass es zu
einem Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat komme.