«Es liegt an uns, Zukunft zu gestalten» Von Nina Gross und Lando Hass , dpa
13.02.2025 12:14
Die abstrakte EU greifbar machen: Junge Menschen aus mehreren Ländern
simulieren die nicht immer einfache Arbeit in der Union. Wie blickt
die Generation auf die Zukunft?
Mainz (dpa/lrs) - «Ich glaube, dass die jüngere Generation immer
pessimistischer wird angesichts des Zustands der Welt und die Politik
für sie als nicht wirklich relevant wahrnimmt.» Das, was die
18-jährige Veronica aus Tschechiens Hauptstadt Prag über ihre eigene
Generation sagt, zeigt, wie sorgenvoll europäische Jugendliche in die
Zukunft blicken.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, stärker werdende
rechte Parteien, der Klimawandel - viele Themen treiben Jugendliche
aus vier europäischen Ländern, darunter Veronica, um. Im Landtag in
Mainz sind sie bei einem Planspiel mit der harten Realität
konfrontiert, Meinungen zusammenzubringen.
Für Veronica ist die Europäische Union ein Lichtblick. «Ich betrachte
die EU auf jeden Fall als große Chance», sagt sie. «Für mich ist si
e
sehr wichtig» - gerade in einer Zeit, in der immer mehr Parteien eine
negative Einstellung zur EU hätten und überlegten, sich aus der EU
zurückzuziehen oder Mittel zu kürzen.
«Normalerweise wirkt die EU weit entfernt»
Um die Bedeutung der EU und ihre Funktionsweise geht es bei dem
Planspiel «Raising Europe's Stars». Jugendliche und junge Erwachsene
im Alter von 16 bis 19 Jahren sind im rheinland-pfälzischen Landtag
dabei. Lautes Stimmengewirr und Satzfetzen auf Englisch hallen durch
den Plenarsaal, geschäftig laufen die jungen Menschen von einer Ecke
zur anderen.
Einer behält stets den Überblick: Paul, der die Rolle des
Vorsitzenden des Rates der Europäischen Union innehat. Gemeinsam mit
Veronica und anderen spielt er die Arbeit derjenigen Institution in
der EU nach, in der die Fachminister der 27 Mitgliedsstaaten
zusammenkommen, um über Gesetzentwürfe abzustimmen.
Paul ist 18 Jahre alt und besucht ein Gymnasium in Kirchheimbolanden.
Er spürt große Verantwortung, wenn er in der mitunter hitzigen
Debatte zur Energiewirtschaft die Oberhand behalten soll: «Ich bin
mit dafür verantwortlich, dass es am Ende zu einem festen
Gesetzentwurf kommt, dem die Mitgliedsländer zustimmen können», sagt
er.
Debatten, intensive Verhandlungen, Abstimmungen - Paul erlebt am
eigenen Leib, wie Politik gemacht wird. «Normalerweise wirkt die EU
weit entfernt, wie eine bürokratische Instanz, zu der wir keinen
direkten Bezug haben», sagt der Schüler. «Obwohl wir in der Schule
die theoretischen Grundlagen lernen, bleibt es sonst schwer, sich
etwas Konkretes unter der EU vorzustellen.»
Von Kompromissen und anderen Standpunkten
«Das Planspiel ist wichtig für uns, weil wir dort sehen, wie wichtig
es ist, einen Kompromiss finden zu können», sagt Paul. Er glaubt,
dass es für die EU oft schwer sei, Lösungen zu finden, weil es so
viele unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten in Europa gebe.
«Andere Standpunkte nachzuvollziehen, ist aber doch wertvoll, wenn
man bedenkt, dass wir nicht alleine auf der Welt und in Europa sind
und dass man Kompromisse schließen muss.»
Veronica übernimmt die Rolle einer französischen Ministerin. In ihrer
Heimat Tschechien sei fehlendes Wissen über die EU ein großes
Problem, sagt sie. Die Bevölkerung fühle sich vernachlässigt. «Ich
denke, das hat mit schwacher Bildung und fehlender Sichtbarkeit zu
tun. Es gibt Möglichkeiten, sich stärker zu engagieren, die Leute
wissen nur einfach nicht wie.» Das liege auch daran, dass viele nicht
wüssten, wie die EU genau funktioniert. «Sie denken, das Land gibt
immer wieder Geld an die EU, aber bekommt dafür absolut nichts
zurück.»
Schüler wünschen sich sichtbares Europa
Veronica und Paul sind sich einig: Die EU muss sichtbarer werden.
Positives, was die EU bewirke, bleibe unsichtbar. Als Beispiel führt
Paul die Reisefreiheit an. «Wenn man in Urlaub fährt, ist es schön,
ohne größere Schwierigkeiten die europäischen Grenzen zu passieren»
,
sagt er. Veronica ist überzeugt, dass die EU-Mitgliedschaft ihrem
Land viele Vorteile bringt. Aber kommt das auch bei jüngeren Leuten
an? «Ein Planspiel wie das aktuelle könnte dabei helfen, die EU
jüngeren Leuten näherzubringen», meint sie.
Ähnlich klingt das bei Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD). Gerade
in Zeiten, in denen verstärkt über die Kontrolle und das Schließen
von Grenzen diskutiert werde, solle das Planspiel zeigen, wie wichtig
Errungenschaften eines EU-Binnenmarktes, offener Grenzen und
gemeinsamer Werte seien.
Politik als Option für das eigene Leben?
Die Simulation bringt zum ersten Mal in dieser Form 56 Jugendliche
aus den Partnerregionen Rheinland-Pfalz, Burgund-Franche-Comté
(Frankreich), Oppeln (Polen) und Mittelböhmen (Tschechien) zusammen.
Organisiert hat das Projekt federführend der Partnerschaftsverband
Rheinland-Pfalz/4er-Netzwerk mit weiteren Partnern.
Trotz aller Sorgen blicken die teilnehmenden jungen Menschen mit
Hoffnung nach vorn. Veronica möchte sich nach der Schule an einer
Universität im europäischen Ausland bewerben und träumt davon,
irgendwann für die EU in Brüssel zu arbeiten. Auch Paul, der in
wenigen Tagen das erste Mal bei einer Bundestagswahl wählen darf,
kann sich vorstellen, in die Politik zu gehen. Politik sei eine gute
Möglichkeit, um das Leben der Menschen positiv zu beeinflussen. «Ich
finde es wichtig, dass man etwas unternimmt und nicht nur sagt, die
da oben müssen etwas ändern», betont Paul. «Es liegt in unseren
Händen, die Zukunft zu gestalten.»