Ukraine-Friedenstruppe: Starmer prescht vor, Scholz bremst Von Michael Fischer, Ansgar Haase, Julia Kilian und Michael Evers, dpa

17.02.2025 15:06

Die Diskussion über eine europäische Friedenstruppe für die Ukraine
nimmt Fahrt auf. Aber ein Land, das sich gerade im Wahlkampf
befindet, steht dabei auf der Bremse.

Paris/London/Berlin (dpa) - Großbritannien und Frankreich drängeln,
Deutschland bremst: Vor ihrem Pariser Gipfel zum Ukraine-Krieg zeigen
sich die Europäer uneins in der Frage einer Friedenstruppe zur
Sicherung eines möglichen Waffenstillstands. Der britische
Premierminister Keir Starmer preschte kurz vor dem Treffen vor und
zeigte sich «bereit und willens», notfalls Soldaten in das von
Russland angegriffene Land zu entsenden. In einem Gastbeitrag für den
«Telegraph» schrieb er, Großbritannien könne bei der Arbeit an
Sicherheitsgarantien für die Ukraine eine «führende Rolle»
übernehmen. 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält die Debatte dagegen für
verfrüht. «Es ist ganz wichtig, dass wir uns klar machen, da sind wir
leider noch lange nicht», sagte Scholz vor seiner Abreise nach Paris
in Kassel. Es gehe jetzt um die Frage, wie Frieden gewährleistet
werden könne, ohne dass über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer

hinweg entschieden werde.

Ukraine-Gipfel von acht europäischen Ländern

Am Nachmittag kommen in Paris auf Einladung des französischen
Präsidenten Emmanuel Macron die Staats- und Regierungschefs von acht
europäischen Ländern zusammen, um eine gemeinsame Linie in der
Ukraine-Politik zu suchen, darunter auch Starmer und Scholz. Außerdem
sind Italien, Polen, Spanien, die Niederlanden und Dänemark vertreten
sowie die Spitzen von EU und Nato. 

Die Europäer wollen beraten, wie sie mit dem Kurswechsel der
US-Politik im Ukraine-Krieg umgehen. US-Außenminister Marco Rubio und
ranghohe Vertreter Russlands wollen Berichten diese Woche in
Saudi-Arabien über ein Ende des russischen Angriffskriegs sprechen -
ohne Beteiligung der Ukraine oder anderer europäischer Vertreter. 

US-Präsident Donald Trump will möglichst bald Verhandlungen mit dem
russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein Ende des Krieges
beginnen. Die USA haben aber gleichzeitig klargemacht, dass sie keine
Soldaten zur Sicherung eines Waffenstillstands in die Ukraine
entsenden wollen.

Frankreich berichtet über sehr konkrete Gespräche

Macron treibt das Thema einer europäischen Friedenstruppe schon
länger voran. Bereits Mitte Dezember, sechs Wochen vor dem
Amtsantritt Trumps, gab es Berichte über entsprechende Pläne der
Regierung in Paris. Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot
berichtet nun von sehr konkreten Gesprächen «auf verschiedenen
Ebenen», bei denen es um die Entsendung von Truppen insbesondere aus
Frankreich, Großbritannien und Polen - den «drei großen Armeen»
Europas - gehe. Die Friedenstruppe solle einen künftigen
Waffenstillstand und einen «dauerhaften Frieden» in der Ukraine
gewährleisten, sagte er in einem Interview des Senders LCI.

Deutschland, das nach den USA, der Türkei, Polen und Frankreich laut
offizieller Nato-Statistik die fünftgrößte Armee des Bündnisses hat
,
erwähnte Frankreichs Außenminister nicht. Großbritannien liegt nur
auf Platz sieben noch hinter Italien.

Scholz' rote Linie: Keine Beteiligung ohne USA

Scholz steht seit Beginn der Debatte über eine Friedenstruppe auf der
Bremse. Sein Argument: Zunächst einmal müsse es ein
Verhandlungsergebnis unter Beteiligung der Ukrainer geben, erst dann
könne es um eine Sicherung eines Waffenstillstands gehen. «Trump
etwas für einen Deal zuzusagen, den wir nicht einmal kennen, wäre
fahrlässig», heißt es aus deutschen Regierungskreisen.

Für die Entsendung von Truppen gibt es für den Kanzler eine rote
Linie: Ohne eine Beteiligung von US-Truppen kommt dies für ihn nicht
infrage, weil es aus seiner Sicht die Nato spalten würde: «Wir werden
uns in diesem Zusammenhang nicht an Szenarien beteiligen, in denen
europäische und amerikanische Sicherheit auseinanderfallen, also
beispielsweise europäische Soldaten ohne volle US-Involvierung
eingesetzt werden.»

Deutschland will lieber die ukrainische Armee aufrüsten

Dem Kanzler wäre es ohnehin viel lieber, die Ukrainer in die Lage zu
versetzen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. «Für mich ist ganz
klar, dass im Mittelpunkt stehen muss eine sehr starke ukrainische
Armee, auch in Friedenszeiten», sagt er in Kassel. Die Europäer und
Amerikaner sieht er dabei eher als Geldgeber und Ausrüster. «Das wird
eine große Aufgabe sein für Europa, für die USA und internationale
Bündnispartner.» 

Vor einem Waffenstillstand ist die Entsendung von Nato-Truppen für
Scholz komplett ausgeschlossen, weil das Bündnis aus seiner Sicht
damit in den Krieg hineingezogen würde. Allerdings ist unklar, ob
nach der Bundestagswahl von einer neuen Bundesregierung andere
Akzente gesetzt würden.

Polen zurückhaltend - Niederlande und Schweden offen

Anders als vom französischen Außenminister dargestellt, plant auch
Polen keine Entsendung von Soldaten - unterstützt aber den Ansatz
Macrons und Starmers. Vor seinem Abflug nach Paris sagte Polens
Regierungschef Donald Tusk: «Wir haben nicht vor, polnische Truppen
in die Ukraine zu schicken, aber wir werden die Länder, die in
Zukunft solche Garantien geben wollen, auch logistisch und politisch
unterstützen.» Polnischen Medien zufolge ist die Regierung in
Warschau bislang auch aus historischen Gründen zurückhaltend: Vor dem
Zweiten Weltkrieg gehörten Teile der heutigen Westukraine zu Polen.

Offen für eine Entsendung von Truppen in die Ukraine haben sich
dagegen auch die Niederlande und Schweden gezeigt. Spanien und
Dänemark schlossen einen solchen Schritt zuletzt zumindest nicht mehr
kategorisch aus. 

Truppenstärke noch unklar

Wie viele europäische Soldaten nach einer möglichen
Friedensvereinbarung in die Ukraine geschickt werden könnten, ist
derzeit noch unklar. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus
Verhandlungskreisen erfuhr, wird über eine fünfstellige Zahl
gesprochen. Demnach ist eine von dem ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj ins Spiel gebrachte Truppenstärke von 200.000
Soldaten unrealistisch. Zu Beginn der Debatte im Dezember war über
rund 40.000 Soldaten spekuliert worden.

Nach Angaben von Diplomaten wird derzeit vor allem darüber
gesprochen, ob und wenn ja europäische Soldaten für die Ausbildung
ukrainischer Streitkräfte im westlichen Teil des Landes stationiert
werden könnten. Als äußerst unwahrscheinlich gilt demnach auch, dass

sie direkt an die Frontlinie geschickt würden, um dort die Einhaltung
einer möglichen Friedensvereinbarung zu überwachen.