Europäer bei Ukraine-Krisengipfel uneins über Friedenstruppe Von Michael Fischer, Ansgar Haase, Julia Kilian und Michael Evers, dpa
17.02.2025 22:53
Der drastische Kurswechsel in der US-Ukraine-Politik bringt Europa in
eine komplizierte Lage. Frankreichs Präsident lädt zum Krisengipfel.
Doch ein Bild der Einheit geben die Europäer nicht ab.
Paris/London/Berlin (dpa) - Großbritannien und Frankreich schreiten
voran, Deutschland bremst: Beim Pariser Gipfel zum Ukraine-Krieg
haben sich die Europäer uneins in der Frage einer Friedenstruppe zur
Sicherung eines möglichen Waffenstillstands gezeigt. Bundeskanzler
Olaf Scholz bezeichnete die Diskussionen nach dem Treffen als
irritierend und völlig verfrüht und kritisierte, dass über die Köpf
e
der Ukrainer hinweg über mögliche Ergebnisse von Friedensgesprächen
gesprochen werde, die noch gar nicht stattgefunden hätten.
«Das ist höchst unangemessen, um es ganz offen und ehrlich zu sagen»,
sagte Scholz. Es sei eine «unpassende Debatte zur falschen Zeit und
über das falsche Thema». Scholz äußerte sich im Anschluss an die
informellen Beratungen, zu denen Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron auch die Staats- und Regierungschefs aus Großbritannien,
Italien, Polen, Spanien, den Niederlanden und Dänemark sowie die
Spitzen von EU und Nato eingeladen hatte.
Scholz stellt sich damit unter anderem gegen den britischen
Premierminister Keir Starmer und Macron. Starmer war kurz vor dem
Treffen vorgeprescht und zeigte sich «bereit und willens», notfalls
Soldaten in das von Russland angegriffene Land zu entsenden. In einem
Gastbeitrag für den «Telegraph» schrieb er, Großbritannien könne
bei
der Arbeit an Sicherheitsgarantien für die Ukraine eine «führende
Rolle» übernehmen. Auch Frankreich soll bereits vor längerer Zeit die
Bereitschaft zur Entsendung von Truppen bekundet haben.
Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot berichtete von sehr
konkreten Gesprächen «auf verschiedenen Ebenen» über die Entsendung
von Soldaten aus mehreren Ländern. Eine solche Friedenstruppe könnte
einen künftigen Waffenstillstand und einen «dauerhaften Frieden» in
der Ukraine gewährleisten, sagte er in einem Interview des Senders
LCI.
Krisengipfel nach US-Forderungen
Topthema bei dem Gipfel war die Frage, wie Europa auf den drastischen
Kurswechsel in der US-Ukraine-Politik reagieren soll. Diese zielt
darauf ab, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und
Kreml-Chef Wladimir Putin in Verhandlungen über ein Ende des Krieges
zu zwingen und den Europäern die Verantwortung für die Absicherung
eines Friedensdeals zu übertragen.
Dazu ging jüngst in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten die
Aufforderung ein, mögliche Beiträge zu Sicherheitsgarantien für die
Ukraine zu melden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur
sollen die Länder unter anderem angeben, ob sie Soldaten für eine
Friedenstruppe oder Ausbildungsprogramme nach einem Ende des
russischen Angriffskriegs in die Ukraine schicken könnten. Zudem soll
es auch um Waffensysteme gehen und die Frage, was von den USA
erwartet wird.
Starmer nutzte eine pessimistische Prognose nach den Gesprächen für
einen Appell. Europa müsse seine Rolle spielen, sagte er. «Aber es
muss eine US-Absicherung geben, denn nur eine US-Sicherheitsgarantie
kann Russland wirksam von einem weiteren Angriff auf die Ukraine
abhalten.»
Für Europäer keine zentrale Rolle im Verhandlungsprozess
Die Europäer müssen auch entscheiden, wie sie damit umgehen wollen,
dass die Amerikaner für sie keine zentrale Rolle im
Verhandlungsprozess sehen - und von der Ukraine unabgesprochen
Zugeständnisse fordern. Um ein Ende des russischen Angriffskriegs zu
erreichen, soll die Ukraine aus US-Sicht ihre Ambitionen auf einen
schnellen Nato-Beitritt aufgeben und akzeptieren, dass ein Teil ihres
Staatsgebiets dauerhaft unter russischer Kontrolle bleibt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident
António Costa erklärten nach dem Treffen auf der Plattform X, die
Europäer seien sich einig, dass die Ukraine einen Frieden verdiene,
der die Unabhängigkeit und territoriale Integrität des Landes
respektiere und starke Sicherheitsgarantien biete. Ungarn - selbst
EU-Mitglied - unterstellte den Gipfelteilnehmern ganz andere
Intentionen: In Paris seien «Kriegsbefürworter, Trump-feindliche und
frustrierte europäische Politiker» zusammengekommen, um ein
Friedensabkommen mit der Ukraine zu verhindern, sagte Außenminister
Peter Szijjarto.
Uneinigkeit bei möglicher Friedenstruppe deutlich
Die USA haben bereits klargemacht, dass sie keine Soldaten zur
Sicherung eines Waffenstillstands in die Ukraine entsenden wollen.
Gastgeber Macron hatte kurz vor dem Treffen noch mit US-Präsident
Donald Trump telefoniert. Dieser will möglichst bald Verhandlungen
mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein Ende des
russischen Angriffskriegs beginnen. US-Außenminister Marco Rubio und
ranghohe Vertreter Russlands wollen diese Woche in Saudi-Arabien
darüber sprechen - ohne Beteiligung der Ukraine oder anderer
europäischer Vertreter.
Für die Entsendung von Truppen in die Ukraine hatten sich zuletzt
auch die Niederlande und Schweden offen gezeigt. Spanien und Dänemark
schlossen einen solchen Schritt zuletzt zumindest nicht mehr
kategorisch aus. Anders als vom französischen Außenminister
dargestellt, plant Polen keine Entsendung von Soldaten. «Das Treffen
hat an unserem Standpunkt nichts geändert», sagte Regierungschef
Donald Tusk. Zuvor hatte er betont, Polen habe nicht vor, Truppen in
die Ukraine zu schicken. Es werde aber Länder, die in Zukunft solche
Garantien geben wollen, logistisch und politisch unterstützen.
Truppenstärke unklar
Wie viele europäische Soldaten nach einer möglichen
Friedensvereinbarung in die Ukraine geschickt werden könnten, ist
unklar. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Verhandlungskreisen
erfuhr, wird über eine fünfstellige Zahl gesprochen. Demnach ist eine
von dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ins Spiel
gebrachte Truppenstärke von 200.000 Soldaten unrealistisch. Zu Beginn
der Debatte im Dezember war über rund 40.000 Soldaten spekuliert
worden.
Nach Angaben von Diplomaten wird derzeit vor allem darüber
gesprochen, ob und wenn ja, wie viele europäische Soldaten für die
Ausbildung ukrainischer Streitkräfte im westlichen Teil des Landes
stationiert werden könnten. Als äußerst unwahrscheinlich gilt demnach
auch, dass sie direkt an die Frontlinie geschickt werden, um dort die
Einhaltung einer möglichen Friedensvereinbarung zu überwachen.
Scholz steht seit Beginn der Debatte über eine Friedenstruppe auf der
Bremse. Sein Argument: Zunächst einmal müsse es ein
Verhandlungsergebnis unter Beteiligung der Ukrainer geben, erst dann
könne es um eine Sicherung eines Waffenstillstands gehen. «Trump
etwas für einen Deal zuzusagen, den wir nicht einmal kennen, wäre
fahrlässig», heißt es aus deutschen Regierungskreisen.
Für die Entsendung von Truppen gibt es für den Kanzler zudem eine
rote Linie: Ohne eine Beteiligung von US-Truppen kommt dies für ihn
nicht infrage, weil es aus seiner Sicht die Nato spalten würde: «Wir
werden uns in diesem Zusammenhang nicht an Szenarien beteiligen, in
denen europäische und amerikanische Sicherheit auseinanderfallen,
also beispielsweise europäische Soldaten ohne volle US-Involvierung
eingesetzt werden», argumentiert er.