Bereit für den Krieg? EU plant für das Worst-Case-Szenario Von Ansgar Haase, dpa

19.03.2025 13:43

Ein noch größerer Krieg in Europa? Die EU-Kommission von Ursula von
der Leyen hält ein solches Szenario nicht mehr für ausgeschlossen.
Jetzt gibt es eine Aufrüstungsstrategie mit dem Zieldatum 2030.

Brüssel (dpa) - Die EU muss sich nach Einschätzung der Europäischen
Kommission umgehend auf die reale Möglichkeit eines großangelegten
Krieges mit Russland vorbereiten. «Die Geschichte wird uns
Untätigkeit nicht verzeihen», warnt die Behörde unter der Leitung von

Ursula von der Leyen in einem neuen Strategiepapier zur Zukunft der
europäischen Verteidigung. Sollte Russland seine Ziele in der Ukraine
erreichen, werde das Land seine territorialen Ambitionen darüber
hinaus ausdehnen. Als möglicher Zeitraum dafür wird das Jahr 2030
genannt.

Hintergrund der neuen Strategie sind insbesondere auch die
Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump, nach denen die atomare
Supermacht USA künftig nicht mehr bedingungslos als Garant für
Frieden in Europa zur Verfügung zur stehen wird. «Die
Sicherheitsarchitektur, auf die wir uns verlassen haben, kann nicht
länger als selbstverständlich angesehen werden», erklärte von der
Leyen zur Vorstellung des sogenannten Weißbuches. Man müsse jetzt die
eigenen Fähigkeiten stärken und in Verteidigung investieren.

Sieben Schlüsselbereiche

Um Russland und andere aggressive Akteure wirkungsvoll abzuschrecken,
ist es aus Sicht der EU-Kommission nun notwendig, so schnell wie
möglich bestehende militärische Fähigkeitslücken in sieben
Schlüsselbereichen zu schließen. Zu diesen gehören nach dem neuen
Strategiepapier die Luftverteidigung und Raketenabwehr, aber auch
Artilleriesysteme, Drohnen und militärische Transportkapazitäten.
Nach Vorstellung der Kommission sollten die EU-Staaten beim Kauf eng
kooperieren und mindestens 40 Prozent der benötigten Güter gemeinsam
bestellen.

«Die gemeinsame Beschaffung ist das effizienteste Mittel zur
Beschaffung großer Mengen von «Verbrauchsgütern» wie Munition,
Raketen und Drohnen. Aber die gemeinsame Beschaffung ist auch
entscheidend für die Umsetzung komplexerer Projekte», heißt es in dem

Weißbuch. Dies liege etwa daran, dass die Bündelung der Nachfrage die
Kosten senke, klare Nachfragesignale an die Rüstungsindustrie sende
und die reibungslose Zusammenarbeit von nationalen Streitkräften
ermögliche.

Um Aufrüstung zu finanzieren, sind nach bereits vor zwei Wochen
veröffentlichten Vorschlägen der Kommission unter anderem EU-Kredite
in Höhe von 150 Milliarden Euro sowie Ausnahmen von den strengen
EU-Schuldenregeln vorgesehen. So sollen in den kommenden vier Jahren
insgesamt 800 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die EU-Kommission
will zudem Auflagen und Vorschriften für die Rüstungsindustrie
lockern. Die Pläne sollen es auch ermöglichen, die von Russland
angegriffene Ukraine künftig noch stärker militärisch zu
unterstützen.

Brisantes Thema USA

Wesentlich weniger deutlich als zunächst von der EU-Außenbeauftragten
Kaja Kallas und EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius
vorgesehen, wird in der Strategie vor Abhängigkeiten von den USA
gewarnt. Entsprechende explizite Passagen aus einem älteren
Textentwurf schafften es nach Intervention des Kabinetts von Ursula
von der Leyen nicht in die Endfassung.

Aus dem Europäischen Parlament kommt daran Kritik. «Ein White Paper
zur europäischen Verteidigung ist nur dann sinnvoll, wenn es die
Realität anerkennt - und dazu gehört eine ehrliche Neubewertung der
transatlantischen Beziehungen», sagte die deutsche Grünen-Abgeordnete
Hannah Neumann. Diese ergebe, dass man sich auf die USA nicht mehr
verlassen könne, aber bei zentralen Fähigkeiten nahezu vollständig
von ihnen abhängig sei.

Wenn jetzt Milliardensummen investiert würden, müssten diese gezielt
in den Aufbau eigener Kapazitäten fließen - von Luftabwehr über Cyber

bis zur militärischen Aufklärung. Die sieben strategischen
Investitionsbereiche dazu seien ein guter Schritt.

Deutliche Warnungen wurden gestrichen

In dem früheren Entwurf für das Weißbuch hatte es zu Abhängigkeiten

von den USA konkret geheißen, die Vereinigten Staaten könnten
möglicherweise die Nutzung von Schlüsselkomponenten für die
militärische Einsatzfähigkeit einschränken oder sie sogar
unterbinden. Der einzige Weg, Abhängigkeiten zu überwinden, bestehe
deswegen darin, die notwendigen Fähigkeiten durch gemeinsame
europäische Rüstungsprojekte zu entwickeln.

Hintergrund der Formulierungen waren offensichtlich die jüngsten
Erfahrungen der von Russland angegriffenen Ukraine. Das Land hatte
erleben müssen, wie die Regierung von Trump die Nutzung von
US-Waffensystemen aus der Ferne einschränken konnte, nachdem es sich
geweigert hatte, Forderungen zu möglichen Friedensgesprächen mit
Russland und zu einem Rohstoff-Deal nachzukommen.

Befürchtet wird nun, dass die USA im Fall von
Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten auch an Nato-Partner
gelieferte Waffensysteme aus der Ferne lahmlegen könnten. Besonders
gilt dies für Hightech-Produkte wie Kampfjets des Typs Lockheed
Martin F-35A Lightning II. Deutschland hatte von ihnen erst vor drei
Jahren 35 Stück bestellt. Zugleich besteht aber auch die Sorge, dass
sich die Vereinigten Staaten militärisch vollständig aus Europa
zurückziehen könnten, wenn US-Rüstungsunternehmen künftig deutliche
r
weniger Aufträge aus der EU bekommen.