Wegen Russland und Trump: EU will bis 2030 massiv aufrüsten Von Ansgar Haase und Katharina Redanz, dpa
20.03.2025 21:31
Geheimdienste gehen davon aus, dass Russland spätestens 2030
militärisch in der Lage sein dürfte, einen weiteren Krieg zu
beginnen. Die EU ist alarmiert - vor allem auch wegen Trumps Politik.
Brüssel (dpa) - Die EU will bis zum Ende des Jahrzehnts massiv
aufrüsten. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten
entschieden bei ihrem Frühjahrsgipfel, alles daranzusetzen, um
Europas Verteidigungsbereitschaft in den nächsten fünf Jahren
entscheidend zu stärken, wie aus einer am Abend veröffentlichten
Erklärung hervorgeht. Dafür sollen unter anderem die Arbeiten an den
jüngsten Vorschlägen der EU-Kommission zügig vorgetrieben werden.
Die Behörde unter der Führung von Präsidentin Ursula von der Leyen
will für Aufrüstungsprojekte unter anderem EU-Kredite in Höhe von 150
Milliarden Euro vergeben und Verteidigungsausgaben von den strengen
EU-Schuldenregeln ausnehmen. So sollen dem Plan zufolge allein in den
kommenden vier Jahren insgesamt 800 Milliarden Euro mobilisiert
werden. Zudem ist unter anderem vorgesehen, Auflagen und Vorschriften
für die Rüstungsindustrie zu lockern. Die Pläne sollen es auch
ermöglichen, die von Russland angegriffene Ukraine künftig noch
stärker militärisch zu unterstützen.
Reale Möglichkeit eines großangelegten Krieges
Hintergrund der Planungen ist, dass sich die EU nach Einschätzung der
Europäischen Kommission umgehend auf die Möglichkeit eines
großangelegten Krieges mit Russland vorbereiten muss. «Die Geschichte
wird uns Untätigkeit nicht verzeihen», warnte die Kommission in einem
kurz vor dem Gipfel vorgelegten Strategiepapier zur Zukunft der
europäischen Verteidigung. Sollte Russland seine Ziele in der Ukraine
erreichen, werde das Land seine territorialen Ambitionen darüber
hinaus ausdehnen. Als möglicher Zeitraum dafür wird das Jahr 2030
genannt.
Bekenntnis zur Nato
Als besonders gefährlich gilt die Situation, weil US-Präsident Donald
Trump angekündigt hat, dass die atomare Supermacht USA künftig nicht
mehr bedingungslos als Garant für Frieden in Europa zur Verfügung zur
stehen wird. In der Gipfelerklärung wird allerdings deutlich gemacht,
dass die EU dennoch auf ein Überleben der Nato setzt.
«Der Europäische Rat erinnert daran, dass eine stärkere und
leistungsfähigere Europäische Union im Bereich der Sicherheit und
Verteidigung einen positiven Beitrag zur globalen und
transatlantischen Sicherheit leisten und eine Ergänzung zur Nato
darstellen wird», heißt es in dem Text. Für die 23 EU-Staaten, die
auch Nato-Mitglied seien, bleibe diese weiterhin die Grundlage ihrer
kollektiven Verteidigung.
Scheidender Kanzler sieht Deutschland auf Kurs
Der scheidende deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz verwies in Brüssel
darauf, dass in der Bundesrepublik derzeit bereits ein riesiges neues
Finanzpaket für Aufrüstung geplant werde. Es sei ein gutes Zeichen,
dass der Bundestag in Berlin dafür in dieser Woche eine sehr
umfassende Verfassungsänderung beschlossen habe, sagte er. Diese
werde die Finanzierung für die Verteidigung Deutschlands, die
Zusammenarbeit in Europa und weitere Ukraine-Hilfen sicherstellen.
Überschattet wurde der Gipfel von der Ankündigung Ungarns, keinerlei
neue EU-Entscheidungen zugunsten der Ukraine zu akzeptieren. Wie
schon beim Sondergipfel am 6. März konnte deswegen kein gemeinsamer
EU-Text dazu angenommen werden.
Die ungarische Regierung begründet ihre Haltung damit, dass sie den
Kurs des neuen US-Präsidenten Donald Trump unterstütze. Dieser will
auch mit Druck auf die Ukraine eine Waffenruhe im Krieg erzwingen,
den Russland mit seinem Angriff auf das Nachbarland im Februar 2022
begonnen hatte. Die große Mehrheit der EU-Staaten hält Trumps Kurs
allerdings für falsch und gefährlich. Der schwedische
Ministerpräsident Ulf Kristersson nannte das Vorgehen beim Gipfel
fürchterlich.
Diskussion um neue EU-Schulden
Mehrere Länder machten zudem auch deutlich, dass ihnen das von der
Kommission geschnürte Finanzpaket nicht weit genug geht.
Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis etwa sagte, man
solle nicht nur über Darlehen, sondern auch ernsthaft über eine
erneute, großangelegte Schuldenaufnahme der EU-Staaten, über
sogenannte Eurobonds, diskutieren. Dies wurde bislang nur in der
Corona-Pandemie zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen gemacht.
Länder wie Deutschland, die Niederlande und Österreich lehnen eine
Wiederholung aber bislang kategorisch ab. Der niederländische
Ministerpräsident Dick Schoof sagte in Brüssel: «Wir sind gegen
Eurobonds. Das ist nicht neu.» Es müsse auf finanzielle Stabilität
geachtet werden.
Vermutlich letzter regulärer Gipfel für Scholz
Für Kanzler Scholz wird die Reise nach Brüssel vermutlich die letzte
zu einem regulären EU-Gipfel gewesen sein. Die nächste turnusmäßige
Tagung der europäischen Staats- und Regierungschefs steht erst Ende
Juni an. In Brüssel wird erwartet, dass bis dahin Friedrich Merz
(CDU) vom Bundestag zum nächsten deutschen Bundeskanzler gewählt
wurde.