Experte: Energiewende braucht mehr soziale Gerechtigkeit
24.03.2025 01:01
Strom für E-Flugkraftstoffe könnte günstige Steuersätze bekommen,
während Haushalte hohe Stromrechnungen erhalten. Die Energiewende
brauche mehr Gerechtigkeit, mahnt ein Forscher
Pau (dpa) - Bei der Energiewende drohen einem Experten zufolge
soziale Ungerechtigkeiten, die die Kluft zwischen Arm und Reich in
der EU weiter vergrößern könnten. Für mehr Energiegerechtigkeit
sollten künftige Steuersätze sich am jeweiligen Zweck der Energie
orientieren, rät Jean-Baptiste Jarin von der Universite de Pau et des
Pays de l'Adour. Eine Beibehaltung der derzeitigen Politik werde zu
großen Ungerechtigkeiten führen.
Es gebe beim Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren
Energien eine Fehlentwicklung der Steuerpolitik, erklärt Jarin im
Fachjournal «Climate Policy» am Beispiel des Flugverkehrs. Das
wohlhabendste Prozent der EU-Bürger sei für zwei Drittel der
Flugkilometer verantwortlich. Die Hälfte der Menschen in der
Europäischen Union reise hingegen nicht oder fast gar nicht per
Flugzeug.
Strom für Haushalte dreimal so teuer wie für die Flugreisen Reicher
Strom für primäre Bedürfnisse wie Heizung oder Beleuchtung könnte
aber dreimal so viel kosten wie Strom zur Produktion von
E-Kraftstoffen (E-Fuels) für drittrangige Bedürfnisse wie die
Langstreckenmobilität, kritisiert der französische Forscher. «Währe
nd
die gesamte Bevölkerung auf Strom angewiesen ist, um ihre
Grundbedürfnisse zu befriedigen, kommt die Nutzung der Flugmobilität
vor allem den Wohlhabendsten zugute.» Hauptursache sei die
Steuerpolitik.
Strom für den Bedarf der Haushalte und der lokalen Mobilität kostet
demnach 194 Euro pro Megawattstunde, heißt es in der Studie, die auf
französischen Daten basiert. Der Strom für synthetische nachhaltigere
Flugkraftstoffe für die Luftfahrt könnte der Analyse zufolge nur 65,5
Euro pro Megawattstunde kosten.
E-Kraftstoffe für Flugreisen weitgehend steuerfrei
Elektrointensive Anlagen, die E-Kraftstoff für den Flugverkehr
herstellen, könnten - wenn sich die Politik dies nicht ändert - kaum
oder gar nicht besteuert werden. Dabei ist der Energiebedarf im
Flugverkehr gewaltig, wie Jarin erläutert: Allein der Hin- und
Rückflug einer Person zwischen Paris und New York schlage rein
rechnerisch bei Verwendung des E-Kraftstoffs mit 7.300
Kilowattstunden zu Buche - was den gesamten jährlichen Primär- und
Sekundärbedarf einer Einzelperson übersteige. Dieser liege bei etwa
5.000 Kilowattstunden.
Es sei es an der Zeit, dass sich die politischen Entscheidungsträger
mit den potenziellen sozialen Ungerechtigkeiten befassen, die bei der
Formulierung einer E-Fuel-Politik entstehen könnten, so Jarin.
Steuersätze sollten proportional zum Endzweck der Energie sein.
Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich weiter
Jarin erklärte, er halte es für besorgniserregend, dass eine
kohlenstoffarme Politik die Energieungerechtigkeit zu fördern droht.
Die Produktion von E-Kraftstoff vor allem für die Luftfahrt könnte
über die steuerlichen Ungleichheiten die Kluft zwischen den Reichsten
und dem Rest weiter vergrößern, befürchtet er. «Große Mengen von
E-Fuels könnten sich erheblich auf die Stromnachfrage auswirken, da
für ihre Herstellung eine beträchtliche Menge Strom benötigt wird.»
Folgen wie höhere Energiepreise, geringere Wirtschaftswachstumsraten
und höhere Inflation könnten vor allem die untersten
Einkommensschichten hart treffen.
Französische Daten auf andere EU-Länder übertragbar
Einschränkend gibt Jarin in «Climate Policy» zu bedenken, dass seine
Analyse auf französischen Daten basiert. Zwar befolgten alle
EU-Länder dieselbe Energiesteuerrichtlinie, die Ergebnisse könnten
aber von Land zu Land wegen unterschiedlicher Strompreise leicht
unterschiedlich ausfallen.
Jarin hatte unter anderem Daten über den Stromverbrauch für den
primären (Haushalte), sekundären (Elektrofahrzeuge für die lokale
Mobilität) und tertiären (E-Kraftstoff für die Langstreckenmobilitä
t)
Bedarf gesammelt und dann die Strompreise vor und nach der
Besteuerung verglichen.
Die Energiewende in der EU zielt darauf ab, die Staatengemeinschaft
bis 2050 klimaneutral zu machen. Im Jahr 2024 stammten etwa 48
Prozent des Stroms in der EU aus erneuerbaren Quellen wie Wind-,
Solar- und Wasserkraft. Flugzeuge sollen zukünftig verstärkt mit
klimafreundlichen Treibstoffen betrieben werden. Ab 2025 sollen
mindestens 2 Prozent der Flugkraftstoffe nachhaltig sein. Darunter
fallen etwa Kraftstoffe aus Bioabfällen, Altspeiseöl, aber auch
synthetisch hergestellte Kraftstoffe. Dieser Anteil soll bis 2050 auf
70 Prozent erhöht werden.