Machtprobe zwischen türkischer Regierung und Demonstranten

26.03.2025 05:32

US-Außenminister Rubio ist besorgt über die Lage in der Türkei. Der
Chef der größten Fraktion im Europaparlament sieht gar die Grundlagen
der Zusammenarbeit mit Erdogans Regierung gefährdet.

Istanbul/Brüssel (dpa) - Die Proteste in der Türkei gegen die
Inhaftierung des populären Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu
reißen nicht ab. Am Dienstag gingen den nunmehr siebten Abend in
Folge erneut Tausende Menschen auf die Straßen, unter anderem in
Istanbul und Ankara - obwohl in beiden Städten Demonstrationen
derzeit verboten sind. Die US-Regierung äußerte sich angesichts der
jüngsten Entwicklungen besorgt. Der Vorsitzende der größten Fraktion

im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), sieht die Grundlagen für die
Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung in Gefahr. 

Imamoglu gilt als Erdogans potenziell aussichtsreichster
Herausforderer bei der für 2028 angesetzten Präsidentenwahl und wurde
von der größten Oppositionspartei als Kandidat aufgestellt. Er war am
vergangenen Mittwoch unter Korruptions- und Terrorvorwürfen
festgenommen und am Sonntag als Bürgermeister der Millionenmetropole
Istanbul abgesetzt worden. Imamoglu selbst bestreitet alle Vorwürfe
und wirft der Regierung vor, ihn mit den Ermittlungen politisch
kaltstellen zu wollen. 

Seit Beginn der Proteste wurden laut dem türkischen Innenministerium
mehr als 1.400 Menschen bei Demonstrationen festgenommen, von denen
knapp 1.000 weiter in Gewahrsam sind. Unter den Verhafteten sind
mehrere Journalisten. Der größtenteils friedliche Protest richtet
sich immer deutlicher gegen die Regierung von Staatschef Recep Tayyip
Erdogan, der die mehrheitlich friedlichen Demonstrationen als
«Gewaltbewegung» bezeichnete.

Polizei wird brutales Vorgehen vorgeworfen

Der Polizei wird dagegen brutales Vorgehen gegen Demonstranten
vorgeworfen. Videos und Bilder zeigen, wie Sicherheitskräfte mit
Schlagstöcken, Reizgas und Wasserwerfern gegen Menschen auf der
Straße vorgehen. Laut Innenministerium wurden mehrere Einsatzkräfte
bei den Demonstrationen verletzt. Zu verletzten Teilnehmern der
Proteste gibt es keine verlässlichen Angaben.

Menschen gehen trotz Verbots auf die Straßen

Am Dienstagabend demonstrierten laut dem oppositionsnahen Sender Halk
TV Hunderte Menschen auch in der Stadt Rize, dem Heimatort Erdogans.
In Istanbul zog ein großer Protestzug überwiegend junger
Demonstranten durch den Bezirk Sisli, wie Augenzeugen und lokale
Medien berichteten. Auch vor der Istanbuler Stadtverwaltung und in
der Hauptstadt Ankara sowie in Izmir versammelten sich erneut
Hunderte, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. 

In Ankara und Izmir wurden die Protestverbote erneut verlängert - in
Izmir bis Samstag, in Ankara bis Dienstag, wie die Gouverneursämter
mitteilten. In Ankara umfasst das Verbot alle Arten von geschlossenen
und offenen Versammlungen sowie Unterschriftenkampagnen und das
Austeilen von Flyern. Auch in Istanbul gelten bis einschließlich
Mittwoch solche Verbote.

US-Regierung besorgt über die Lage

Die US-Regierung äußerte sich nach einem Gespräch des Außenminister
s
Marco Rubio mit seinem türkischen Kollegen Hakan Fidan besorgt über
die Lage in dem Land. Rubios Sprecherin Tammy Bruce teilte mit, «der
Minister hat seine Sorgen wegen der jüngsten Festnahmen und Proteste
in der Türkei zum Ausdruck gebracht». 

EVP-Chef: «Erdogans Türkei ist auf dem falschen Weg»

Auch der Vorsitzende der EVP-Fraktion, der größten Abgeordnetengruppe
im Europäischen Parlament, Manfred Weber, zeigte sich besorgt. Er
sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Die EU will eine enge
Partnerschaft mit der Türkei, das kann aber nur auf Basis gemeinsamer
Werte funktionieren.» Die Justiz als politische Waffe zu verwenden,
sei mit diesen Werten nicht vereinbar. «Erdogans Türkei ist auf dem
falschen Weg», kritisierte Weber. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
könnten Schaden nehmen.

In der EU wurde wegen der Entwicklungen zuletzt eine mögliche Absage
geplanter Gespräche über den Ausbau der Zusammenarbeit mit der Türkei

erwogen. Die geplanten Beratungen waren von Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen nur wenige Tage vor der Festnahme Imamoglus
angekündigt worden. Vorbereitet wurde damals den Angaben zufolge ein
EU-Türkei-Dialog zu Wirtschaftsthemen im April sowie ein weiterer zu
Migrations- und Sicherheitsthemen.

Hintergrund der Planungen war ein Auftrag der Staats- und
Regierungschefs von einem Gipfeltreffen im April 2024. Damals war
vereinbart worden, die Beziehungen zur Türkei möglichst wieder zu
stärken - insbesondere weil das Land eine Schlüsselrolle bei den
Bemühungen um eine Stabilisierung des östlichen Mittelmeerraums und
bei der Lösung von Migrationsproblemen spielt.

Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion
und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei
Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei
auf Eis gelegt worden.