Autor Illies: Europa sollte sich von den USA loslösen

29.03.2025 00:46

«Danke, Amerika, es reicht jetzt» ist ein Essay des
«Zeit»-Mitherausgebers Florian Illies betitelt. Der Bestsellerautor
plädiert für eine Art USA-Liebesentzug - und für Champagner statt
Starbucks.

Hamburg (dpa) - «Zeit»-Herausgeber Florian Illies (53) sieht
angesichts von Donald Trumps zweiter Präsidentschaft die Zeit
gekommen, dass sich die Europäer von den Amerikanern emanzipieren.
«Ja, es ist an der Zeit, dass die halbe Milliarde an Europäern ihr
eigenes Selbstbewusstsein wiederentdecken, ihre Stärke, ihre
Geschichte - und endlich aufhören, bei Europa nur an die
EU-Verordnungen zum Krümmungsgrad von Bananen zu denken.» Das
schreibt der Bestsellerautor («Generation Golf», «1913: Der Sommer
des Jahrhunderts», «Liebe in Zeiten des Hasses») in einem
«Zeit»-Essay.

Weiter heißt es darin: «Wer Donald Trump, J. D. Vance, Pete Hegseth
oder Marco Rubio zuhört, der weiß: Wer solche Freunde hat, braucht
keine Feinde mehr.» Illies' Vorschlag: «Wir sollten der
amerikanischen Regierung im Allgemeinen und Donald Trump im
Besonderen das entziehen, was sie am dringendsten brauchen: unsere
ungeteilte Aufmerksamkeit.» Kurz gesagt: «Amerikaner, macht bitte,
was ihr wollt. Aber wir sind dann mal gedanklich weg.»

Kulturell waren die USA lange überlegen - aber nun sei gut

Jahrzehntelang habe der Westwind aus den Vereinigten Staaten
«verlässlich alle Segnungen und Verwerfungen des Kapitalismus»
herübergeweht, schreibt Illies - «jeden neuen Musikstil, jede neue
Kunstrichtung, jede neue Studentenbewegung, jede neue Weltdeutung». 

Kulturell und popkulturell seien Amerikas Produkte von liberalen
Universitäten, Verlagen, Film- und Plattenstudios «meist die eine
Stufe origineller, witziger, tiefsinniger und: besser» gewesen. «Nun
aber, wo sich der Wahnsinn in Washington für vier Jahre häuslich
eingerichtet hat, ist endlich der richtige Moment für Europa
gekommen, um es wieder selbst mit dem Weltgeist zu versuchen. Das hat
in den 2000 Jahren vor Hemingway und dem Big Mac eigentlich auch ganz
gut geklappt.» 

US-Kultur und -Konsum infiziert «vom Trump'schen Ungeist»

Mit der Regierung Donald Trumps sei nicht nur die amerikanische
Politik empörend, auch die Konsumkultur habe ihren Reiz verloren,
weil sie wie infiziert wirke «vom Trump'schen Ungeist der
Illiberalität», meint der «Zeit»-Mitherausgeber. «Wer Instagram
nutzt, weiß, dass Mark Zuckerberg seinen Kniefall vor Trump gemacht
hat, wer bei Amazon kauft, weiß, dass Jeff Bezos den Präsidenten zu
seiner Hochzeit eingeladen hat - und jeder Teslafahrer möchte täglich
ins Lenkrad beißen, weil aus seinem fahrenden Nachweis von Coolness
und Klimabewusstsein urplötzlich ein Unterstützungsfahrzeug für den
Kettensägenirrsinn Elon Musks geworden ist.»

Europas eigenes Wertesystem hochhalten

Natürlich sei sein Rundumschlag «genauso maßlos übertrieben wie der

willfährige Import von Ideen und Produkten in den sieben Jahrzehnten
davor», betont Illies. «Aber vielleicht ist es doch der richtige
Impuls, um damit anzufangen, nun unser eigenes Wertesystem
hochzuhalten - und in die USA zu exportieren. Also Humanismus statt
Menschenverachtung, Gewaltenteilung statt Willkür, Respekt statt
Einschüchterung.»

Süffisant schreibt der 53-Jährige schließlich: «Was also tun, wenn

Trump die Einfuhrzölle auf französischen Champagner und Cognac um
lockere 200 Prozent erhöhen will? Uns freuen. Denn dann können wir
den herrlichen französischen Champagner, von dem bislang etwa 10
Prozent in die USA gingen, endlich ganz alleine trinken und müssen
ihn nicht mehr mühsam über den Atlantik schiffen.» Champagner statt
Starbucks und den europäischen Binnenmarkt anheizen, das müsse die
Devise sein, meint Illies.