Große Ungewissheit - Was Europa bei neuen US-Zöllen fürchtet Von Alexander Sturm, Ansgar Haase und Julia Naue, dpa
01.04.2025 13:49
US-Präsident Trump plant neue drastische Abgaben auf Importe. Niemand
weiß bisher so recht, wen es wie treffen wird. Aber für Deutschland
und Europa könnte das ein kostspieliges Problem werden.
Washington/Berlin/Brüssel (dpa) - US-Präsident Donald Trump feiert es
als Befreiungstag, für die Europäer dürfte es die nächste
Eskalationsstufe im Handelsstreit mit den USA sein: Trump will am
Mittwoch neue weitreichende Zölle verhängen. Seit Wochen fiebert der
Republikaner auf den von ihm so bezeichneten «Liberation Day» für die
USA hin und schimpft dabei vor allem auf die Europäische Union. Ihm
ist es ein Dorn im Auge, dass europäische Unternehmen insgesamt
deutlich mehr Waren in den USA verkaufen als amerikanische Firmen in
der EU.
Was plant Trump?
So richtig klar ist das nicht. Trump spricht von wechselseitigen
Zöllen. Das bedeutet im Prinzip, dass die USA überall dort Zölle
anheben, wo sie derzeit weniger verlangen als ihre Handelspartner.
Trump kündigte auch an, andere Handelshemmnisse in den Blick zu
nehmen - etwa strenge Einfuhrvorgaben oder Subventionen. Er will das
Handelsungleichgewicht korrigieren und die USA als
Produktionsstandort stärken. Anderen Ländern warf vor, sein Land
unfair zu behandeln. Gleichzeitig dürften die Zölle ihm helfen, sein
kostspieliges Wahlversprechen umfassender Steuersenkungen
gegenzufinanzieren.
Zuletzt deutete sich an, dass der 78-Jährige einfach pauschale Zölle
verhängen könnte. Das würde bedeuten, dass die Abgaben nicht auf
einzelne Waren oder spezifische Branchen beschränkt würden. Von den
Zöllen werde kein Staat verschont bleiben, sagte er etwa am
Wochenende. Am Montagabend sprach er im Weißen Haus über
US-Handelspartner und monierte: «Der Freund ist in vielen Fällen
schlimmer als der Feind.» Wie genau die neuen Zölle aussehen und wen
sie treffen, will er im Rosengarten des Weißen Hauses bekanntgeben.
Dass Trump seine Drohungen ernst meint, hat er zuletzt bewiesen. Er
verhängte bereits Zölle auf alle Aluminium- und Stahlimporte, brachte
Zölle auf importierte Autos und Autoteile auf den Weg, führte erhöhte
Zölle auf alle Waren aus China ein und nahm seine Nachbarn Kanada und
Mexiko ins Visier.
Was erwartet die EU?
Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
werden die USA neue Sonderzölle auf die Einfuhr von Halbleitern,
Pharmazeutika und Holz erheben. Zudem erwarte man eine weitere
Ankündigung zu sogenannten reziproken Zöllen, mit denen auf
angebliche unfaire Zölle anderer Länder reagiert werden soll, sagte
die deutsche Spitzenpolitikerin am Dienstag in einer Rede im
Europäische Parlament in Straßburg. Diese würden sofort für fast al
le
Waren und viele Länder der Welt gelten und zu den Sonderzöllen
hinzukommen, die US-Präsident Donald Trump bereits in Kraft gesetzt
hat.
Was heißt das für die deutsche Wirtschaft?
Die USA sind Deutschlands wichtiger Handelspartner noch vor China und
den Niederlanden, wie Daten des Statistischen Bundesamts zeigen.
Demnach wurden 2024 Waren im Wert von rund 253 Milliarden Euro
zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten gehandelt.
Der US-Markt hat für deutsche Firmen an Bedeutung gewonnen: Für die
deutschen Exporteure seien die USA so wichtig wie nie in den
vergangenen 20 Jahren, so das Statistische Bundesamt. Deutsche Firmen
lieferten 2024 Waren im Wert von 161,4 Milliarden Euro in die USA,
gut zehn Prozent aller Exporte.
Umgekehrt wurden 2024 Waren im Wert von 91,4 Milliarden Euro aus
Amerika nach Deutschland importiert. Die Folge war ein deutscher
Rekord-Handelsüberschuss von rund 70 Milliarden Euro mit den USA. Mit
keinem anderen Land hat Deutschland seit 2017 so hohe
Exportüberschüsse.
Welche Branchen sind besonders von den USA abhängig?
Nicht nur den deutschen Autobauern drohen mit den von Trump bereits
angekündigten Sonderzöllen von 25 Prozent hohe Belastungen. Auch für
die Pharmaindustrie sind neue US-Zölle gefährlich. Arzneimittel im
Wert von 26 Milliarden Euro und damit knapp ein Viertel (23,2
Prozent) der deutschen Pharmaexporte gingen 2023 in die USA.
Prozentual gesehen ist das noch mehr als im Maschinenbau (13 Prozent)
und der Chemiebranche (7,2 Prozent), deren Produkte ebenfalls zu den
wichtigsten deutschen Exportgütern in die USA zählen.
Könnte die Zölle Folgen für die Gesundheitsversorgung in Deutschland
haben?
Deutschland importierte 2023 Pharmazeutika im Wert von 12,5
Milliarden Euro (17 Prozent) aus den USA sowie rund zwölf Prozent der
Vorprodukte. Das sind Materialien, Stoffe oder Bauteile, die in der
Herstellung von Medizinprodukten, Arzneimitteln oder medizinischen
Geräten verwendet werden. «Im Ernstfall eines Handelskriegs
könnten sich Vorprodukte stark verteuern oder zeitweise ganz fehlen»,
sagt Claus Michelsen, Chefvolkswirt beim Verband forschender
Arzneimittelhersteller. «Damit würde die Arzneiproduktion in
Deutschland unter Druck geraten mit Folgen für die
Medikamentenversorgung und die Beschäftigten in der
Pharmaproduktion.»
Wie könnten deutsche Unternehmen auf die neuen Zölle reagieren?
Es kursieren Schreckensszenarien, wonach deutsche Unternehmen im
großen Stil in die USA abwandern könnten, um Zöllen zu entgehen.
Simone Menne, Präsidentin der Amerikanischen Handelskammer in
Deutschland (AmCham Germany), sieht aber hohe Hürden für Unternehmen.
«Große Investitionen haben jahrelangen Vorlauf. Aus Deutschland
abzuwandern, wäre für Unternehmen mit hohen Kosten verbunden», sagte
Menne in einem früheren Gespräch mit der dpa.
Viele deutsche Konzerne seien bereits stark in den USA präsent, sagte
Menne. «Womöglich investieren sie dann vor Ort noch mehr.» Deutsche
Unternehmen sind wichtige Arbeitgeber und Investoren in den
Vereinigten Staaten, zeigen Daten des Bundeswirtschaftsministeriums.
Unter anderem die Autobauer VW, BMW und Mercedes haben dort große
Werke. Der Mittelstand habe es da schwerer, so Menne. «Viele Firmen
sind Weltmarktführer von Deutschland aus, sie können nicht einfach
von heute auf morgen ein Werk woanders aufbauen.»
Wie wird die EU reagieren?
EU-Kommissionschefin von der Leyen warnte am Dienstag erneut vor den
Folgen eines möglichen Handelskrieges und betonte die
Verhandlungsbereitschaft der EU. Zugleich machte sie deutlich, dass
die EU im Fall einer unzureichenden Gesprächsbereitschaft der USA mit
Gegenmaßnahmen reagieren wird. «Ich habe mich bereits mit den
europäischen Staats- und Regierungschefs über die nächsten Schritte
ausgetauscht», sagte sie. «Unser Ziel ist eine Verhandlungslösung.
Aber, wenn es nötig ist, werden wir natürlich unsere Interessen,
unsere Bevölkerung und unsere Unternehmen schützen.» Man wolle nicht
unbedingt zurückschlagen, aber wenn es notwendig sein werde, habe man
einen starken Plan, um dies zu tun.
Details nannte von der Leyen nicht. Nach Angaben aus
Kommissionskreisen beinhaltet er aber unter anderem die Einführung
weitreichender Gegenzölle. Bereits angekündigt ist, dass Mitte April
die derzeit ausgesetzten Sonderzölle auf US-Produkte wie Jeans,
Bourbon-Whiskey, Motorräder und Erdnussbutter wieder eingeführt
werden. Dies ist aber die Reaktion auf die US-Sonderzölle auf Stahl-
und Aluminiumimporte, die bereits in Kraft getreten sind.
Könnten auch Dienste von Trump-Freund Elon Musk ins Visier der EU
geraten?
Ja. Aus dem Europäischen Parlament kommen so bereits Forderungen nach
einer offenen Drohung mit Maßnahmen gegen amerikanische Unternehmen
wie die Plattform X, die Musk gehört, Google, Amazon oder Netflix.
Der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament,
Bernd Lange (SPD), hält es beispielsweise für möglich, Abgaben auf
digitale Dienstleistungen zu erheben.
Die EU-Kommission verweist in dem Handelskonflikt auch immer wieder
darauf, dass die USA mehr Dienstleistungen in die EU verkaufen als
umgekehrt. Berücksichtigt man sowohl Waren als auch Dienstleistungen,
hat es 2023 nach Zahlen aus Brüssel beispielsweise nur einen geringen
EU-Handelsüberschuss von 48 Milliarden Euro gegeben. Das entsprach
drei Prozent des gesamten Handels zwischen den USA und der EU.
Wie könnte es nach der neuen Zollankündigung weitergehen?
In einem weniger schlimmen Szenario könnte Trump schnell davon
überzeugt werden, die Zölle vorübergehend wieder auszusetzen - um
dann mit Verhandlungen zu beginnen. Im Worst-Case-Szenario würde es
zu einem langen Handelskrieg kommen - mit schweren Folgen für die
Wirtschaft. Selbst im Fall von Verhandlungen wird allerdings nicht
damit gerechnet, dass am Ende wieder alles ist wie vorher.
Was könnte die EU den USA in Verhandlungen anbieten?
Neben Zollsenkungen auf Waren wie US-Autos gelten neue Abkommen als
Option. Nach Einschätzung der EU-Kommission könnten die Europäische
Union und Trump etwa einen neuen Deal zum Ausbau amerikanischer
Exporte von Flüssiggas (LNG) schließen. «Wir bekommen immer noch viel
LNG aus Russland, warum also nicht stattdessen amerikanisches LNG
einsetzen, das günstiger für uns ist und unsere Energiepreise senkt»,
sagte Ursula von der Leyen bereits im vergangenen Jahr. Zudem wäre es
möglich, mehr Militärtechnik und Agrargüter aus den USA zu
importieren.