EU-Kommission lässt Wirkstoff Lecanemab gegen Alzheimer zu

15.04.2025 16:32

Heilen lässt sich Alzheimer nach wie vor nicht - bei einem sehr
kleinen Teil der Betroffenen aber ein bisschen verzögern. Ein
Antikörper kann künftig auch in Deutschland verwendet werden.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Kommission hat erstmals eine
Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf zugrundeliegende
Krankheitsprozesse abzielt. Der Antikörper Lecanemab sei für eine
Behandlung im frühen Stadium und das erste Medikament dieser Art, das
in der EU zugelassen werde, teilte die Kommission mit. Fachleuten
zufolge kommt nur ein sehr kleiner Teil der Alzheimer-Patienten für
diese Therapie infrage.

Das Medikament, das in einigen Monaten verfügbar sein könnte, soll
die Krankheit ein wenig verlangsamen. Die Zulassung unterliegt laut
EU-Kommission strengen Auflagen. Man sei zu dem Schluss gekommen,
dass der Nutzen des Arzneimittels bei einer bestimmten Gruppe von
Patienten und unter bestimmten Voraussetzung die Risiken überwiege.

Die Brüsseler Behörde folgte mit der Zulassung der Empfehlung der
Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Bisherige
Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht
ursächliche Prozesse im Gehirn.

Das ist bei Lecanemab anders: Der Antikörper richtet sich gegen
Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der
Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen. Um Heilung oder
Verbesserung geht es allerdings auch bei diesem Wirkstoff nicht - ein
solches Mittel ist weiterhin nicht in Sicht.

Minimale Verzögerung

Hauptmaßstab für die Wirksamkeit der Therapie war die Veränderung der

kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand
einer von 0 bis 18 reichenden Demenzbewertungsskala gemessen wurde,
wie es von der EMA hieß. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen im
Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber
1,75).

Fraglich ist Experten zufolge, wie alltagsrelevant diese leichte
Verzögerung ist. «Sobald das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung
vorliegt, sind die statistisch beschriebenen Effekte für den
Patienten und sein Umfeld zumeist nicht mehr wahrnehmbar», sagte
Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in
Homburg.

Experten zufolge wird es noch einige Monate dauern, bis das Mittel
wirklich eingesetzt werden kann - unter anderem, weil der Hersteller
verpflichtet wurde, ausführliche Handreichungen und Schulungen für
Ärzte auszuarbeiten und ein Beobachtungsregister anzulegen. Das
Medikament wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht.

Nur im Anfangsstadium einsetzbar

Zugelassen ist Lecanemab nur zur Behandlung von leichter kognitiver
Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz

in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Der Grund ist, dass
eine Entfernung der Amyloid-Plaques nichts mehr nützt, wenn diese
schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet haben.

Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Das Mittel soll nur für
diejenigen Alzheimer-Patienten verwendet werden, die eine oder keine
Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein
Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für
bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen - Schwellungen und Blutungen
im Gehirn - geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien. 

Nur für etwa jeden 60. Alzheimer-Kranken

Von den geschätzt etwa 1,2 Millionen Alzheimer-Erkrankten in
Deutschland kommt Experten des Deutschen Zentrums für
Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zufolge letztlich nur ein sehr
kleiner Teil für die neue Therapie infrage. Als frühe Phase - und
damit die mögliche Phase für eine Antikörpertherapie - sind demnach
die ersten drei Jahre zu werten. Das sind in Deutschland aktuell
schätzungsweise etwa 250.000 Menschen.

80 Prozent davon kommen mit Blick auf ApoE4 infrage. Nicht jeder
dieser Patienten erfüllt aber alle Voraussetzungen für die Therapie
und ist zudem daran interessiert. Konservativ geschätzt sind es
Experten zufolge etwa zehn Prozent. In der Summe dieser Faktoren
könnten das etwa 20.000 Patienten sein. 

Bei Frauen ist der beobachtete klinische Effekt allerdings noch
einmal deutlich geringer als bei Männern - ihr Risiko für
Nebenwirkungen hingegen höher. Ob sie überhaupt von einer Behandlung
profitieren, ist der Alzheimer Forschung Initiative zufolge noch
unklar. Rund zwei Drittel aller Menschen mit Alzheimer sind Frauen.

Mangelnde Kapazitäten, hohe Kosten

Ausreichend Kapazitäten für die nun zugelassene Therapie gibt es
bisher wohl nicht. «Ich gehe bei uns in Köln von um die 100 Patienten
aus, die wir pro Jahr behandeln können. Und wir sind ein großes
Zentrum», sagte der Neurologe Özgür Onur von der Uniklinik Köln.

Unklar sind auch die Medikamentenkosten für Lecanemab in Europa. In
den USA seien es etwa 26.500 US-Dollar (ca. 23.000 Euro) jährlich pro
Patient, hatte Johannes Levin vom DZNE Ende letzten Jahres gesagt.
Hinzu kommen demnach im Vorfeld einmalige Kosten für die Diagnostik
in Höhe von geschätzt 1.400 bis 5.000 Euro. Die Kosten für die
Verabreichung des Medikaments lägen groben Schätzungen zufolge bei
etwa 6.000 bis 8.000 Euro jährlich, sagte der Experte. Lecanemab wird
als intravenöse Infusion alle zwei Wochen verabreicht.

Nebenwirkungen müssen streng überwacht werden

Die in Studien erfassten Schwellungen und Mikroblutungen im Gehirn
von Patienten blieben zwar überwiegend ohne Symptome und wurden meist
erst durch bildgebende Verfahren bemerkt. Insbesondere bei
wiederholtem Auftreten drohen jedoch eine verminderte Gehirnleistung
oder Koordinationsschwierigkeiten. Mikroblutungen gelten zudem als
Risikofaktor für größere, potenziell lebensbedrohliche Hirnblutungen.

Die meisten von Alzheimer Betroffenen sind älter als 80 Jahre, nur in
seltenen Fällen beginnt die Krankheit vor dem 65. Lebensjahr.