Klimaschutz im Ausland anrechnen? EU vor neuen Wegen Von Martina Herzog und Katharina Redanz, dpa

19.04.2025 07:00

Treibhausgase da einsparen, wo es am günstigsten ist - auch außerhalb
Europas. Das möchte die kommende Bundesregierung, auch die EU werkelt
an Plänen. Die sind allerdings umstritten.

Berlin/Brüssel (dpa) - Auf Seite 28 des schwarz-roten
Koalitionsvertrags verbirgt sich so etwas wie eine kleine Revolution.
Die deutschen und europäischen Klimaziele sollen «in begrenztem
Umfang durch hochqualifizierte und glaubwürdige CO2-Minderungen in
außereuropäischen Partnerländern» erreicht werden. Eine Idee, die
nicht nur CDU, CSU und SPD verfolgen - auch in Brüssel wird daran
gearbeitet.

Wie funktioniert der Klimaschutz in Europa bisher?

Die EU muss ihre Klimaziele durch Treibhausgas-Minderungen auf
eigenem Boden erreichen. Bis 2030 sollen die Emissionen um 55 Prozent
gegenüber 1990 sinken. Bis 2050 will die EU klimaneutral sein, also
nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als wieder gebunden werden
können. 

Ein verbindliches Zwischenziel für 2040 gibt es noch nicht. Die
EU-Kommission schlägt vor, eine Minderung um mindestens 90 Prozent im
Vergleich zu 1990 festzulegen. Der Vorschlag dazu wird bis zur
Sommerpause erwartet und muss dann von den EU-Ländern und dem
Europaparlament verhandelt werden.

Was soll sich dabei ändern?

Das 2040-Ziel finden einige im Parlament und unter den EU-Staaten zu
ehrgeizig. Aus EU-Kreisen heißt es nun, man wolle an der
90-Prozent-Vorgabe festhalten - gleichzeitig aber mehr Flexibilität
schaffen, um sie zu erreichen. Dazu zählt etwa die Anerkennung von
Klimazertifikaten aus Nicht-EU-Ländern. Mit diesen könnten dann
Treibhausgasemissionen, die in der EU entstehen, verrechnet werden.
CDU, CSU und SPD nennen dies im Koalitionsvertrag als eine
Voraussetzung für die deutsche Unterstützung für das 90-Prozent-Ziel:

Zertifikate sollen demnach maximal 3 Prozentpunkte des Ziels
ausmachen. 

Auch wenn damit nur ein Bruchteil der Klimaschutzanstrengungen
beglichen werden würde, sorgen die Pläne für Aufregung. Denn Kritiker

befürchten, dass dieser Anteil künftig steigen könnte - und dass die

EU solche Instrumente in größerem Umfang zulässt. 

Unternehmen, denen es besonders auf Klimaschutz ankommt oder die
damit werben wollen, können heute schon Zertifikate kaufen - zum
Beispiel für Aufforstungsprojekte, saubere Kochöfen, bessere
Trinkwasserversorgung oder Solarparks. Das hat aber bislang nichts zu
tun mit den staatlichen Klimazielen. 

Gab es so etwas schon einmal?

Die Idee ist nicht neu - es gibt sogar schon Erfahrungen mit einem
ähnlichen System unter dem Kyoto-Protokoll, dem Vorläufer des Pariser
Klimaabkommens von 2015. Darin verpflichteten sich die meisten
Industriestaaten ab 2008 zu Treibhausgas-Einsparungen. Um ihre Ziele
zu erreichen, konnten sie dabei auch Einsparungen nutzen, die durch
Klimaschutzprojekte in anderen Ländern erzielt wurden, indem sie
Klimaschutzzertifikate ankauften. Diese Zertifikate waren damals auch
Teil des europäischen Emissionshandels, an dem die EU-Staaten
beteiligt waren. 

Hat das funktioniert?

Es war keine Erfolgsgeschichte. «Bei Kyoto hat sich in erster Linie
gezeigt, dass keine Reduktion in anderen Ländern gemacht wurden, man
hat aber dafür bezahlt», sagt Linda Kalcher von der Brüsseler
Denkfabrik Strategic Perspectives. «Das war der erste Skandal. Als
das rauskam, sind die ganzen Preise der Zertifikate gefallen, und das
war der zweite Skandal.»

Ähnlich beschreibt es der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. «Da
wurden klimaschädliche Treibhausgase in China nur zu dem Zweck
erzeugt, damit man sie zerstören kann und so diese Zerstörung dann
Zertifikate bekommt. So was darf sich natürlich nicht wiederholen.»
Erst über Jahre und nach mehreren Reformen kletterte der Preis so
weit, dass ein Anreiz zum CO2-Sparen entstand.

Welche Probleme gibt es bei so einem System?

«Der Mechanismus hat das Bewusstsein für Klimaschutz geschärft und
Minderungspotentiale in den Ländern des globalen Südens aufgezeigt»,

erkennt Nicolas Kreibich an, der am Wuppertal Institut zu
internationaler Klimapolitik forscht. Doch in der Praxis sei es gar
nicht so einfach sicherzustellen, dass Käufer nicht für Projekte
bezahlen, die ohnehin umgesetzt worden wären. Günstige Projekte
könnten auch arme Länder selbst umsetzen - bei teuren stelle sich die
Frage, ob Käufer dann nicht zu ähnlichen Kosten in CO2-Einsparungen
daheim investieren könnten. Und wären Vorhaben, von denen die lokale
Bevölkerung merklich profitiere, nicht ohnehin gekommen?

Kalcher ist nicht grundsätzlich gegen die Nutzung außereuropäischer
Zertifikate. So sei es «natürlich auch hilfreich, dass man mehr in
internationale Kooperation investiert, gerade in Zeiten, wenn
(US-Präsident Donald) Trump da eine Rückwärtsrolle macht.» Aber:
«Man
sollte nicht so naiv sein, zu sagen, da bekommt man schnell und
günstig Zertifikate von anderen Ländern, die auch noch verlässlich
sind.»

Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss warnt vor ungewollten
Folgen. «Zum Beispiel, wenn Staaten im globalen Süden ihre nationalen
Klimaziele bewusst niedriger ansetzen, um sich Aufstockungen von den
Europäern bezahlen zu lassen.» Das treibt auch den Europaabgeordneten
Liese um, der diese Möglichkeit als «meine größte Sorge an diesem
Konstrukt» bezeichnet. Und es sei keine Dauerlösung. Denn am Ende
müssten alle Staaten weltweit klimaneutral werden. 

Klimaexpertin Kalcher sagt dagegen, in ihren Klimaplänen hätten die
Länder jetzt schon angegeben, was für sie mit eigenen Geldern und
Mitteln möglich ist. «Was aber die Sorge ist, ist, dass es doppelt
angerechnet wird.» Wenn etwa Deutschland Brasilien bezahle und sich
das für das eigene Ziel anrechne - die Brasilianer aber auch für ihr
Ziel. Dafür brauche man die Qualitätsgarantien, auf die auch im
Koalitionsvertrag hingewiesen werde.

Was heißt das für das europäische Klimaziel? 

«Damit würde das Ziel abgeschichtet, bevor es beschlossen wird», unkt

der Abgeordnete Bloss. «Wir als Grüne haben Ursula von der Leyen zur
Kommissionspräsidentin gewählt mit der Zusage, dass wir ein Ziel von
90 Prozent für 2040 bekommen.»

Sein CDU-Kollege Liese setzt einen anderen Akzent. «Die Anerkennung
von hochwertigen Zertifikaten aus Drittstaaten ist ein Ausweg aus der
schwierigen Situation, dass die Kommission sich auf 90 Prozent
festgelegt hat, aber in Parlament und Rat viele das zu ambitioniert
finden», sagt er. «Es ist besser, man macht jetzt schnell ein
pragmatisches Ziel, als jetzt noch drei Jahre zu diskutieren. Dann
ist der weltweite Klimaschutz irgendwann am Ende, weil Europa
natürlich schon eine wichtige Rolle hat.» 

Könnte man die Probleme mit klaren Vorgaben lösen?

«Die EU könnte hier eine Vorbildfunktion einnehmen, indem sie zeigt,
wie der Markt auf integre Art und Weise funktionieren kann», meint
Wissenschaftler Kreibich. Sie könnte die Verantwortung der Käufer von
Zertifikaten in den Mittelpunkt stellen.» Doch unter dem Strich
steige das Risiko für den Klimaschutz. 

Kalcher hofft, dass die Europäer im Idealfall einen Goldstandard
setzen, an dem sich dann alle orientieren. «Zurzeit hat man nicht
genug Qualitätsgarantien, die für die Nutzung von internationalen
CO2-Minderungen da sind.» 

CDU-Politiker Liese sagt, man müsse sehr darauf achten, mit welchen
Ländern man eine Partnerschaft eingehe und welche Projekte man
einbeziehe. 

Ob die Bundesrepublik von dem Systemwechsel etwas hätte, müsse sich
erst noch zeigen, meint Kalcher. «De facto müssen die Emissionen in
Deutschland so oder so runter, wenn man bis 2045 klimaneutral sein
möchte. Und so investiert man große Summen in andere Länder, kauft
sich aber nur ein bisschen Zeit.»