Unterstützung des Moratoriums westafrikanischer Staaten nichtig
Richtige Grundlage ist der EG-Vertrag im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit
Der Gerichtshof erklärt den Beschluss des Rates für nichtig, mit dem das Moratorium der westafrikanischen Staaten über leichte Waffen und Kleinwaffen unterstützt wird.
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C 91/05
Der Beschluss, mit dem Ziele verfolgt werden, die nicht nur der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch der Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit zuzuordnen sind, hätte auf der Grundlage des EG-Vertrags und nicht des EU-Vertrags erlassen werden müssen.
Im Juli 2002 nahm der Rat im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eine Gemeinsame Aktion betreffend die Bekämpfung der Verbreitung von leichten Waffen und Kleinwaffen (Gemeinsame Aktion 2002/589/GASP des Rates vom 12. Juli 2002 betreffend den Beitrag der Europäischen Union zur Bekämfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen [ABl. L 191, S. 1]) gestützt auf den EU-Vertrag an. Zur Umsetzung dieser Gemeinsamen Aktion erließ er am 2. Dezember 2004 einen Beschluss (Beschluss 2004/833/GASP des Rates vom 2. Dezember 2004 zur Umsetzung der Gemeinsamen Aktion 2002/589/GASP im Hinblick auf einen Beitrag der Europäichen Union an die ECOWAS im Rahmen des Moratoriums leichte Waffen und Kleinwaffen [ABl. L 359, S. 65]) im Hinblick auf einen Beitrag der Europäischen Union an die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) im Rahmen des Moratoriums über leichte Waffen und Kleinwaffen. Dieser Beschluss wurde auf der Grundlage der Gemeinsamen Aktion und des EU-Vertrags erlassen.
Bei der Erörterung des Entwurfs dieses Beschlusses erklärte die Kommission, dass der Beschluss ihrer Ansicht nach nicht auf der Grundlage des EU-Vertrags und im Rahmen der GASP erlassen werden sollte, sondern vielmehr unter die Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit und zwar konkret unter das Cotonou-Abkommen (Das im Jahr 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean [„AKP-Staaten"] einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits unterzeichnete Cotonou-Abkommen soll die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung der AKP-Staaten fördern und beschleunigen, zu Frieden und Sicherheit beitragen und ein stabiles und demokratisches politisches Umfeld fördern.) falle. Sie wies dabei darauf hin, dass sie im Rahmen dieses Abkommens bereits einen ähnlichen Finanzvorschlag vorbereite. Nach Erlass des Beschlusses beantragte sie beim Gerichtshof dessen Nichtigerklärung, weil er nicht auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassen worden sei.
Der Gerichtshof weist vorab darauf hin, dass sich die Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit nicht nur auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer und die Bekämpfung der Armut, sondern auch auf die Fortentwicklung und Festigung der Demokratie und des Rechtsstaats sowie die Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bezieht. Damit eine Maßnahme unter die Politik auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit fällt, muss sie jedoch zur Verfolgung der damit verbundenen Ziele der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung beitragen. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass bestimmte Maßnahmen, mit denen verhindert werden soll, dass Entwicklungsländer fragil werden, und zu denen die im Rahmen der Bekämpfung der Verbreitung von leichten Waffen und Kleinwaffen erlassenen Maßnahmen gehören, zur Beseitigung oder Verringerung der Hindernisse für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieser Länder beitragen können.
Der Gerichtshof erinnert an seine Rechtsprechung, nach der gemäß Art. 47 des EU-Vertrags eine Maßnahme, die gestützt auf den EG-Vertrag erlassen werden kann, nicht den EU-Vertrag als Rechtsgrundlage haben kann. Selbst wenn eine Maßnahme mehrere Zielsetzungen hat oder mehrere Komponenten umfasst, von denen keine gegenüber der anderen nebensächlich ist, kann sie deshalb nicht auf der Grundlage des EU-Vertrags erlassen werden, wenn sie auch in eine vom EG-Vertrag zugewiesene Zuständigkeit fällt.
Insoweit heißt es im ersten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, dass die übermäßige und unkontrollierte Anhäufung und Verbreitung von leichten Waffen und Kleinwaffen nicht nur eine Gefahr für den Frieden und die Sicherheit darstellt, sondern auch, insbesondere in Westafrika, die Aussichten auf eine nachhaltige Entwicklung verringert. Somit fügt sich zwar der Beschluss in eine allgemeine Perspektive der Wahrung des Friedens und der Stärkung der internationalen Sicherheit ein, doch wird mit ihm auch das spezifische Ziel verfolgt, die Fähigkeiten einer Gruppe von Entwicklungsländern zu verbessern, ein Phänomen zu bekämpfen, das ein Hindernis für ihre nachhaltige Entwicklung darstellt. Demnach werden mit dem Beschluss mehrere Ziele verfolgt, die der GASP bzw. der Politik auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit zuzuordnen sind, ohne dass eines der Ziele gegenüber dem anderen nebensächlich ist.
Diese Schlussfolgerung wird im Übrigen durch den Inhalt des Beschlusses bestätigt.
Der Gerichtshof gelangt somit zu dem Ergebnis, dass der Rat Art. 47 des EU-Vertrags missachtet hat, indem er den Beschluss gestützt auf die GASP erlassen hat, obwohl er auch unter die Politik auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit fällt.
Der Beschluss des Rates wird deshalb für nichtig erklärt.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Den vollständigen Wortlaut des Urteils finden Sie auf der Internetseite des Gerichtshofs hier.
Pressinformation Nr. 31/08, 20. Mai 2008