"Gefühlte Inflation" liegt weit über der Angaben der Statistiker

Preise: Lücke zwischen Theorie und Praxis

Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) sowie zehn weitere Wirtschaftsorganisationen in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) hatten sich in einer Selbstverpflichtungserklärung zu einem Verhaltenskodex für den Übergang zum Euro verpflichtet.

Die Erklärung sah im ersten Teil eine grundsätzliche Verpflichtung des Handels zur fairen Euro-Vorbereitung und -Einführung gegenüber den Verbrauchern vor. Die Euro-Einführung sollte nicht zu verdeckten Preiserhöhungen genutzt werden. Der Handel wollte von sich aus frühzeitig und umfassend die Verbraucher informieren und Preistransparenz herstellen.

Nach der Einführung des Euro-Bargeldes am 1. Januar 2002 war die anfängliche Sympathie der Verbraucherinnen und Verbraucher für die neue Währung einer teilweisen Ernüchterung und Skepsis gewichen. Diese hatte mehrere Ursachen, unter anderem eine Unsicherheit über die Preisgestaltung einzelner Anbieter bei Handel und Dienstleistungen. Diese „schwarzen Schafe“ spiegeln zwar nicht die Preisgestaltung ganzer Branchen wider, sind aber mit ihren teilweise erheblichen und ungerechtfertigten Preissteigerungen in den Köpfen vieler Verbraucher präsent, wesentlich stärker als dies Preissenkungen vermögen. Diese so genannte „gefühlte Inflation“ machte sich bei vielen Verbrauchern breit.

Die umfangreichen Marktbeobachtungen, die seit Juni 2001 vor, während und nach der Umstellung auf Euro stattfanden, zeigten einen sehr differenzierten Anpassungsprozess. Die Angleichung der Preise an die neue Währung wurde im Einzelhandel in unterschiedlichem Tempo und mit unterschiedlicher Strategie vollzogen.

Nach Angaben der Verbraucherzentralen wurden im Rahmen der Euro-Umstellung bei 724 vergleichbaren Angeboten wurden in 305 Fällen (42,1 Prozent) Preiserhöhungen gegenüber dem Referenzpreis aus dem Juni 2001 festgestellt. In 243 Fällen (33,6 Prozent) wurden jetzt niedrigere Preise ermittelt. Bei den übrigen 176 Angeboten (24,3 Prozent) wurden die gleichen Preise wie bei der ersten Erhebung registriert. Die durchschnittliche Preisveränderung bezogen auf die betrachtete Stichprobe von 724 vergleichbaren Angeboten belief sich auf 1,39 Prozent.

Die Studie "Sechs Monate Euro – Eine Zwischenbilanz der amtlichen Preisstatistik" des statistischen Bundesamtes brachte folgende Ergebnisse:
- Das Geldvermögen der Deutschen hat durch die Einführung des Euro nicht an Wert verloren. Die Jahresteuerungsraten der letzten Monate (Mai 2002: 1,1 Prozent; Juni 2002 nach vorläufiger Schätzung: 0,9 Prozent) zeigen, dass die Euro-Einführung auf die Lebenshaltungskosten insgesamt keinen wesentlichen Einfluss gehabt hat.

Es gab allerdings Sonderentwicklungen, die die subjektiven Eindrücke der Mitbürger – zumindest teilweise – bestätigen:
- Bei Dienstleistungen war die Umstellung im Januar nahezu auf einen Schlag erfolgt. Damit einher gingen deutliche Preiserhöhungen. Die aktuellen Zahlen lassen erkennen, dass diese Preisanhebungen bisher nicht zurückgenommen worden sind. Vielmehr setzt sich die – im langfristigen Trend leicht steigende – Preisentwicklung auf höherem Niveau fort.
- Bei Nahrungsmitteln hat sich die Lage einerseits entspannt. Dies gilt vor allem für die vorwiegend witterungsbedingten Verteuerungen für Obst und Gemüse zu Jahresbeginn. Andererseits gibt es Lebensmittel, wie Vollmilchschokolade, deren Preise erst im Frühjahr kräftig aufgerundet wurden, obwohl es hier bereits im Vorfeld Preiserhöhungen gegeben hatte. Teurer sind weiterhin Brötchen (+ 7,3 Prozent), Tomaten (+ 19,8 Prozent), H-Milch (+ 6,8 Prozent) oder Ölsardinen (+ 15,0 Prozent). Vor allem bei Saison- und Molkereiprodukten dürften aber andere Gründe als die Euro-Einführung für die Preissteigerungen ausschlaggebend sein.
- Während zum Zeitpunkt der Bargeldeinführung die Zahl der Preisänderungen sprunghaft anstieg, hat sich diese Entwicklung seit März wieder normalisiert. Dennoch war von Februar bis Mai 2002 noch fast jede dritte Preisänderung euro-induziert. Dies sind Preisänderungen, die bei der Umstellung von einem attraktiven DM-Preis auf einen attraktiven Euro-Preis beobachtet werden. Von den Preisänderungen zum Zeitpunkt der Bargeldeinführung (Dezember 2001 auf Januar 2002) war noch mehr als jede zweite (53,2 Prozent) euro-induziert gewesen.
- Der geschätzte Einfluss aller von Mai 2001 bis Mai 2002 festgestellten euro-induzierten Preisänderungen auf die Jahresteuerungsraten der untersuchten Produktgruppen – nicht für den Verbraucherpreisindex insgesamt – liegt zwischen – 0,9 und + 2,2 Prozentpunkten.
- Der Einfluss der Euro-Bargeldeinführung auf das Preisniveau ist wissenschaftlich exakt nicht bestimmbar. Preisbeobachtungen reichen für eine Ursachenanalyse nicht aus. Sie können allenfalls zeigen, wie sich Preisgestaltung und Preisverteilung in den letzten Monaten verändert haben.





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Der Euro und die Preise. Studie der Verbraucherzentralen
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Deutsche Bundesbank: Die Verbraucherpreise beim Übergang von der D-Mark auf den Euro
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