Zentralbanken in Europa und USA
Ruhige Hand versus Risikomanagement
(dpa) Die beiden größten Notenbanken der Welt in den Europa und USA haben in ihrer Zinspolitik verschiedene Wege eingeschlagen. Der amerikanische Notenbankpräsident Alan Greenspan erhöhte am Mittwoch erstmals im Juni 2004 seit vier Jahren den Leitzins von 1,0 auf 1,25 Prozent, weitere Trippelschritte werden nach allgemeiner Einschätzung folgen. Sein Pendant bei der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, ließ am Donnerstag dagegen alles beim Alten: «Das aktuelle Zinsniveau von 2,0 Prozent ist angemessen.»
Zwei Notenbanker, zwei Weltsichten. Die Zinspolitik dies- und jenseits des Atlantiks ist verschieden, weil die wirtschaftliche Lage verschieden ist. Sie gründet aber auch in einem unterschiedlichen Denken der Banken. «Die EZB verfolgt eine Politik der ruhigen Hand, sie wartet ab und analysiert», sagt der Europa-Chefvolkswirt von Morgan Stanley, Joachim Fels. «Die amerikanische Federal Reserve betreibt dagegen eine sehr aggressive Zinspolitik mit einem klaren Risiko-Management.»
Die Fed hat sich eine konjunkturelle Feinsteuerung mittels ihrer Geldpolitik auf die Fahnen geschrieben - die EZB lehnt dies in
Tradition der zurückhaltend agierenden Bundesbank ab. «Die US- Notenbank greift entsprechend häufiger ein und das auch in größeren Schritten. Sie legt größere Wege zurück», sagt Analyst Michael Schubert von der Commerzbank.
So läutete die Fed Anfang 2001 die Phase der Zinssenkungen ein - bei einem Hochzinsniveau von 6,5 Prozent. Damals wollte die Notenbank nach dem Platzen der Aktienblase einen Absturz der Wirtschaft in die Rezession verhindern. 13 Mal hat Greenspan seitdem die Zinsschraube gelockert bis auf 1,0 Prozent. Die EZB dagegen senkte den Leitzins - ausgehend von 4,75 Prozent - seit Mai 2001 nur acht Mal auf 2,0 Prozent.
«Es sieht aus, als würde die EZB der Fed hinterherlaufen», sagt Ökonom Schubert. Tatsächlich spiele eine Zinsentscheidung der US-Notenbank aber keine Rolle für die EZB. «Das liegt nur am synchronen Konjunkturverlauf.» Die US-Konjunktur präge über den Welthandel die europäische Wirtschaftslage, was auch im Euro-Land Zinsschritte notwendig mache. Welche Strategie der beiden Banken mehr Erfolg hat, ist unter Wissenschaftlern umstritten.
Auch die Aufträge der beiden Notenbanken sind verschieden: Der Vertrag von Maastricht verpflichtet die EZB dazu, als vorrangiges Ziel Preisstabilität zu sichern. Als obere Warnschwelle hat die EZB selbst eine jährliche Teuerung von maximal 2 Prozent definiert. Im Gegensatz zur EZB ist die Fed nicht allein dem Ziel stabiler Preise verpflichtet, sondern muss auch Wachstum und Beschäftigung unterstützen.
Die EZB steht wegen ihrer Ausrichtung an der Preisstabilität immer wieder in der Kritik. «Das Inflationsziel der Notenbank ist zu
ehrgeizig», sagte Frankreichs Finanzminister Nicolas Sarkozy vor kurzem. Die EZB kümmere sich zu wenig um die Schaffung von Jobs. Ein Regierungsausschuss müsse her, um Beschlüsse der EZB zu beeinflussen, verlangte Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi.
Die jüngste Zinspolitik erklärt sich aber auch durch die Wirtschaftslage. In den USA ist die Zinswende notwendig, um die erwachte Inflation, die im Mai auf 3,1 Prozent stieg, in den Griff zu kriegen. Das starke Wachstum hat viele neue Jobs und mehr Kaufkraft geschaffen. Ganz anders in der Euro-Zone: Der Aufschwung bleibt vor allem wegen des schwachen Konsums enttäuschend. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im ersten Quartal mit gut zwei Prozent nur halb so stark wie in den USA.
Zwar lag die Teuerungsrate wegen der hohen Benzinpreise im Juni bei 2,4 Prozent und könnte 2004 im vierten Jahr in Folge die Marke von 2 Prozent überschreiten. Doch die Experten raten der EZB, sich so lange wie möglich von den US-Vorgaben abzukoppeln. Eine Zinserhöhung erwarten sie erst Mitte 2005. «Die Europäische Zentralbank muss jetzt zeigen, dass sie kein Schaf, sondern der Hirte ist», forderte jüngst Peter Bofinger, geldpolitischer Experte im Sachverständigenrat der Bundesregierung.
Für die Verbraucher käme nach Ansicht der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) eine baldige Zinswende zum falschen Zeitpunkt. Angst vor Jobverlust und neuen Belastungen verleiteten die Deutschen schon jetzt zum Angst-Sparen. Höhere Zinsen würden die Lust auf Anschaffungen weiter bremsen.