Gibt es eine europäischen Stabilitätskultur?
Wie wird dafür gesorgt, daß der Euro auf Dauer eine stabile Währung ist?
Die Wirtschafts- und Währungsunion ist als Stabilitätsgemeinschaft konzipiert, mit einer unabhängigen Zentralbank, die allein der Stabilität des Geldwertes verpflichtet ist. Dieser Auftrag ist im Maastricht-Vertrag festgeschrieben, der völkerrechtlich verbindlich ist. Nicht nur für die Geldpolitik wurde Vorsorge getroffen. Es ist auch dafür gesorgt, daß die Finanzpolitik die Stabilität des Geldwertes nicht unterminieren kann. Nicht nur beim Eintritt in die Währungsunion, sondern auf Dauer müssen übermäßige Haushaltsdefizite vermieden werden. Die Neuverschuldung darf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), also der jährlichen Wirtschaftsleistung, nicht überschreiten Im Stabilitäts- und Wachstumspakt, der auf deutsche Anregung zustande kam, ist diese Sicherung noch präzisiert worden.
Wirklich stabil ist eine Währung aber nur, wenn die Bevölkerung des Währungsraumes davon überzeugt ist, daß sie mit niedriger Inflation am besten fährt und sich entsprechend verhält. Das ist im Euroland heute der Fall. Die durchschnittliche Inflationsrate aller 15 Staaten der Europäischen Union ist von 12 Prozent im Jahr 1982 auf 1998 unter 2 Prozent gesunken.
Manche befürchten, die Stabilität sei nur beim Beginn der Währungsunion gewährleistet. Was aber ist, wenn einzelne Teilnehmer später aus der Stabilitätsgemeinschaft ausbrechen und in die alte Verschuldungsmentalität zurückfallen? Der Maastrichter Vertrag schlägt hier feste Pflöcke ein, die Stabilitätsgemeinschaft wird sozusagen rechtsverbindlich eingezäunt. Dieser Stabilitätszaun besteht aus folgenden Eckpfosten:
Budgetdisziplin: Der Vertrag sieht feste Spielregeln vor, um die Währungsunion auf Dauer vor übermäßigen Haushaltsdefiziten einzelner Teilnehmer zu schützen und die Haushaltsdisziplin zu sichern. Die Staats- und Regierungschefs haben auf dem Madrider Gipfel 1995 diesen Punkt erneut hervorgehoben: "Die Haushaltsdisziplin ist sowohl für den Erfolg der Wirtschafts- und Währungsunion als auch für die Akzeptanz der einheitlichen Währung in der Öffentlichkeit von wesentlicher Bedeutung." Damit kann die stabilitätsorientierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank nicht durch eine unsolide Finanzpolitik einzelner Staaten unterlaufen werden. Die Europäische Zentralbank darf keine Kredite an staatliche Stellen vergeben, um Haushaltslöcher zu stopfen. Der Vertrag schließt aus, dass für die Schulden eines Mitgliedslandes die Europäische Union oder ein EU-Partner haftet. Wir müssen nicht für die Schulden anderer EU-Partner aufkommen, derartige Befürchtungen sind gegenstandslos.
Die finanzpolitischen Konvergenzkriterien - also Obergrenzen für das Haushaltsdefizit und den Schuldenstand des Staates - gelten nach dem Eintritt in die europäische Währungsunion auf Dauer fort. Die Einhaltung wird regelmäßig überwacht. Der EU-Ministerrat für Wirtschaft und Finanzen ging am 1. Mai 1998 noch einen Schritt weiter: "Je größer die Schuldenquoten der teilnehmenden Mitgliedstaaten sind, desto mehr müssen sie sich anstrengen, um diese Quoten zu verringern." Außerdem sollen gute wirtschaftliche Bedingungen zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden, um in guten Zeiten zu einem ausgeglichenen Haushalt zu gelangen. Die EU-Finanzminister erhoffen sich davon ein günstigeres Umfeld für Wachstum, ein höheres Maß an Beschäftigung und größeren sozialen Zusammenhalt in Europa.
Stabilitäts- und Wachstumspakt: Hauptzweck ist die dauerhafte Sicherung einer soliden Haushaltspolitik der Euro-Teilnehmer. Ein ausgefeiltes System von Sanktionen zielt auf eine Doppelwirkung bei der Haushaltsdisziplin: Vorbeugung und Abschreckung. Ein Frühwarnsystem sorgt für die rechtzeitige Überwachung der Schuldenentwicklung. Wenn ein Mitgliedstaat bei der Neuverschuldung die 3 Prozent-Marke überschreitet, löst die EU-Kommission automatisch das Haushaltsüberwachungsverfahren aus. Das erhöht das Abschreckungspotential. Ausnahmen von dieser 3 Prozent-Regel gibt es nur bei außergewöhnlichen Ereignissen, wie Naturkatastrophen, oder einer schweren Rezession. Nur bei einem sehr starken Wachstumseinbruch, einer Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts um 2 Prozent oder mehr, wird dem betroffenen Land eine Ausnahme ohne weiteres zugestanden. Bleibt bei einer mittleren Rezession die Schrumpfung unterhalb von 2 Prozent, kann der Rat eine Ausnahme gewähren, wenn das betroffene Land dafür gute Gründe nachweist. Der Ermessensspielraum ist stabilitätsgerecht begrenzt. Bei einer leichten Rezession (das Bruttoinlandsprodukt schrumpft um weniger als 0,75 PRozent) gibt es keine Gnade für Haushaltssünder.
Wer sein übermäßiges Haushaltsdefizit nicht angeht, wird mit einem "Blauen Brief" abgemahnt. Wenn der Haushaltssünder sein Budget nicht in Ordnung bringt, werden Sanktionen eingeleitet. Zunächst ist eine Stabilitätseinlage fällig, das heißt es muss ein hoher Geldbetrag bei der Europäischen Kommission zinslos hinterlegt werden. Nach weiteren zwei Jahren wird die zinslose Einlage in eine endgültige Strafe umgewandelt, wenn das übermäßige Haushaltsdefizit nicht korrigiert wurde. Die Geldbuße fließt den Euro-Ländern zu, die kein übermäßiges Defizit aufweisen. Die Höhe der Sanktionen steht fest: Sie beträgt 0,2 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts als Sockelbetrag und eine zusätzliche proportionale Komponente, die von der Überschreitung des 3 Prozent-Referenzwertes abhängig ist. Maximal kann die Sanktion 0,5 Prozent des BIP betragen. Das ist ausreichend hoch, um abschreckend zu wirken. Beispiel: 0,2 Prozent des BIP wären in Deutschland ungefähr 7,5 Milliarden Mark. Der Stabilitätspakt sieht damit im Extremfall Strafen in Milliardenhöhe vor. Eine derartige Geldbuße für Haushaltssünder ist weltweit ohne Beispiel.
Im Zusammenhang mit dem deutschen und französischen Haushaltsdefizit ist in den Jahren 2003 und 2004 allerdings eine Debatte um die Ernsthaftigkeit dieser Regelungen entstanden. Die Währungsunion muss sich als Stabilitätsgemeinschaft noch beweisen.