Deutsche beim Zahnarzt in Polen
Lange Reise, halber Preis
Wenn Horst Schild zu seinem Zahnarzt fährt, sitzt er knapp sechs Stunden im Zug und überquert die frühere EU-Außengrenze. Obwohl es in seiner Heimat Minden in Westfalen genügend Zahnarztpraxen gibt, nimmt er diese Strapaze in Kauf. Schild lässt seine Zähne im polnischen Stettin auf Vordermann bringen. In der Zahnklinik Hahs, die der Westfale regelmäßig besucht, ist er bei weitem nicht der einzige Deutsche. Deutsche und Dänen gehören zum Patientenstamm in der 6000-Quadratmeter-Villa, in der Deutsch oder Englisch sprechende Ärzte praktizieren.
«Wir laden Sie herzlich ins Ausland ein», heißt es auf der Internetseite der Klinik. Herzlichkeit bestimmt das Klima. «Bei uns ist der Patient in der Mitte und um ihn herum der Zahnarzt, seine Assistentin, die Empfangsdame und die Putzfrau», beschreibt Marcin Gaborski, Schwiegersohn des Klinikchefs und gelernter Ökonom. Der perfekt Deutsch sprechende 30-Jährige managt das Team: elf Zahnärzte, acht Arzthelferinnen und sieben Zahntechniker.
Stolz zeigt Gaborski die acht Behandlungsstühle. «Wir können acht Patienten parallel behandeln. Weil das oft nicht reicht, kaufen wir jetzt noch zwei weitere Stühle.» Nur jeder zweite Patient in der 20 Jahre alten Klinik ist Pole. In Stettin, wo es rund 3000 Zahnärzte gebe, sei dies für die Einheimischen eine Luxusklinik, sagt Gaborski. Jeder fünfte Patient komme aus Deutschland, jeder vierte aus Dänemark. «Hier zahle ich nur den halben Preis», berichtet eine 59-jährige Dänin, die Urlaub und Zahnarztbesuch miteinander verknüpft.
Auch Horst Schild, der im Juni eineinhalb Wochen lang täglich auf einem Hahs-Zahnarztstuhl saß, spart die Hälfte. Für Ausländer sind die Preise günstiger als in der Heimat, weil die polnischen Zahnärzte weniger Miete und niedrigere Löhne zahlen. «Zuerst haben wir die ausländischen Patienten mit einem niedrigen Preis überzeugt, jetzt wollen wir sie mit Qualität an uns binden», sagt Gaborski.
Dass der Zahnarztbesuch im Ausland auch Risiken birgt, ergab eine Studie der Universität Mainz und des Medizinischen Dienstes Rheinland-Pfalz. Nur jeder vierte Befragte gab an, mit dem Zahnersatz aus dem Ausland zufrieden zu sein. Die Mehrheit musste sich in Deutschland nachbehandeln lassen - und hatte unter dem Strich höhere Kosten.
Der Westfale Schild allerdings ist so zufrieden, dass sich nun auch seine Lebensgefährtin die Zähne in Polen machen lässt. Im Internet hatte er nach günstigen Zahnbehandlungen in Osteuropa
gesucht und war auf die Stettiner Dentisten gestoßen. Seit es die von der EU geförderte Internetseite gebe, nehme das Interesse aus dem Ausland zu, berichtet Gaborski. Auch von der EU-Erweiterung profitiere die Klinik. «Seit dem 1. Mai kommen mehr Deutsche. Sie haben jetzt weniger Angst, nach Polen zu kommen.»
In der Patientenkartei sind auch Berliner, Münchner und Hamburger zu finden. Aus der deutsch-polnischen Grenzregion in Mecklenburg-Vorpommern sind aber nur wenige Zahnpatienten gen Osten gewandert. «Eine Massenflucht hat nach dem 1. Mai nicht eingesetzt», sagte ein Sprecher der Zahnärztekammer des Landes. Aber die nahe der Grenze praktizierenden Kollegen seien verunsichert.
Die deutschen Zahnärzte rechnen damit, dass der Medizintourismus im Zuge der Ausgliederung der Zahnarztleistungen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung zunehmen wird. Sie finden es ungerecht, dass die Kassen ihnen ein Budget vorgeben, aber die Leistung der polnischen Kollegen ohne Einschränkung honorieren. Denn für eine Zahnbehandlung im Ausland erstatten die Kassen den gleichen Anteil wie in Deutschland.
(Internet: Zahnklinik Hahs: www.Hahs-dental.de)
Von Sophia-Caroline Kosel, dpa