Durchführungsverordnung über die Luftfahrtsicherheit
Liste der im Handgepäck verbotenen Gegenstände nur teilweise veröffentlicht
Generalanwältin Sharpston schlägt vor, die Durchführungsverordnung über die Sicherheit in der Luftfahrt für inexistent zu erklären.
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-345/06
Gottfried Heinrich
Die beharrliche und absichtliche Nichtveröffentlichung des Anhangs dieser Verordnung, der u. a. die Liste der im Handgepäck verbotenen Gegenstände enthielt, ist ein so schwerer Fehler, dass sie von der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht geduldet werden kann.
Nach Art. 254 EG sind Verordnungen im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen.
Ende 2002 erließen das Parlament und der Rat eine Verordnung über die Sicherheit in der Luftfahrt1. Im Anhang dieser Verordnung wurden die gemeinsamen grundlegenden Normen für Sicherheitsmaßnahmen im Luftverkehr niedergelegt. Neben anderem nennt der Anhang in allgemeinen Begriffen Arten von Gegenständen, die nicht an Bord eines Luftfahrzeugs gebracht werden dürfen, darunter „Schlagwaffen: Totschläger, Schlagstöcke, Baseballschläger und ähnliche Gegenstände". Die Verordnung sieht ferner vor, dass bestimmte Maßnahmen nicht veröffentlicht, sondern nur den dafür bestimmten Behörden zur Verfügung gestellt werden. Die Verordnung und ihr Anhang wurden veröffentlicht.
Im April 2003 erließ die Kommission eine Verordnung2 zur Durchführung der Verordnung von 2002. Die fraglichen Maßnahmen wurden in einem Anhang festgelegt. Dieser Anhang wurde gemäß der Verordnung von 2002 nicht veröffentlicht, jedoch enthielt eine Pressemitteilung der Kommission vom Januar 2004 Informationen über Gegenstände auf der Verbotsliste. Dieser Anhang wurde mehrmals geändert, aber nie veröffentlicht, obwohl in den Erwägungsgründen zweier Änderungsverordnungen erklärt wurde, dass es notwendig sei, die Fluggäste über die Regeln in Bezug auf verbotene Gegenstände genau zu informieren.
Am 25. September 2005 wurde Gottfried Heinrich an der Sicherheitskontrolle am Flughafen Wien-Schwechat angehalten, weil er Tennisschläger im Handgepäck hatte, bei denen es sich nach Ansicht des Kontrollpersonals um verbotene Gegenstände handelte. Gleichwohl bestieg er mit den Tennisschlägern im Handgepäck das Flugzeug. Das Sicherheitspersonal forderte ihn im Weiteren auf, das Flugzeug zu verlassen.
Dr. Heinrich erhob Klage beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich. Das österreichische Gericht hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage vorgelegt, ob Verordnungen oder Teilen davon Rechtsverbindlichkeit zukommen kann, wenn sie nicht im Amtsblatt veröffentlicht wurden.
In ihren heutigen Schlussanträgen vertritt Generalanwältin Eleanor Sharpston die Auffassung, dass die Veröffentlichung der Durchführungsverordnung von 2003 ohne ihren Anhang eine mangelhafte und unzureichende Veröffentlichung darstellt, die den Anforderungen von Art. 254 EG nicht genügt.
Hierzu führt sie aus, dass das Gebot der Veröffentlichung von Verordnungen unbedingt und ausnahmslos gilt. Ein Anhang ist Bestandteil eines Rechtsetzungsakts; andernfalls hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit, das Erfordernis der Veröffentlichung einfach dadurch zu umgehen, dass er Sachvorschriften in einen unveröffentlichten Anhang stellt. Eben dies ist nach Ansicht der Generalanwältin im vorliegenden Fall geschehen. Der Leser kann die Wirkungen der Verordnung ohne Einblick in den Anhang nicht erkennen, weil der Anhang die gesamte normative Regelung der Verordnung enthält.
Die Generalanwältin sieht die für die Nichtveröffentlichung gegebene Begründung, diese erfolge „gemäß der Verordnung Nr. 2320/2002 und zur Verhinderung unrechtmäßiger Eingriffe" als unzureichend an, wobei sie hervorhebt, dass selbst eine sorgfältigere Begründung nicht ausgereicht hätte, die Verordnung von der vollständigen Veröffentlichung auszunehmen. Sie bezeichnet die Haltung der Kommission als „in sich widersinnig": Wenn die Kommission nach der Verordnung Nr. 2320/2002 zur Geheimhaltung der Liste verpflichtet gewesen sein sollte, stellte die Herausgabe einer Pressemitteilung eine flagrante Verletzung dieser Verordnung dar. Wenn die Kommission angenommen haben sollte, die Liste falle nicht unter die Geheimhaltungspflicht, hätte sie die Liste selbstverständlich im Amtsblatt veröffentlichen müssen. Zudem sieht die Generalanwältin, wenn die allgemeinen „Leitlinien" über die Arten von Gegenständen, die verboten werden sollen, veröffentlicht werden können, kaum einen logischen Grund dafür, Angaben, bei denen es sich vermutlich um eine ausführlichere Fassung dieser Leitlinien handelt, nicht zu veröffentlichen. Schließlich hält sie es für in sich widersprüchlich, wenn die Kommission in den Erwägungsgründen späterer Verordnungen erklärt, dass es notwendig sei, die Öffentlichkeit über die Liste verbotener Gegenstände zu informieren, diese Liste dann aber nicht öffentlich zu machen.
Was die Folgen dieser mangelhaften und unzureichenden Veröffentlichung angeht, sieht Generalanwältin Sharpston darin eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften, die zum Allermindesten zur Ungültigkeit führt. In dieser Hinsicht betont sie, dass die Nichtveröffentlichung weder zufällig noch unbeabsichtigt war. Die Kommission hat, so die Generalanwältin, bewusst eine Reihe neuer Maßnahmen erlassen und es jeweils versäumt, einen Teil der Sachvorschriften (den Anhang) zu veröffentlichen.
Die Generalanwältin schlägt dem Gerichtshof jedoch vor, weiter zu gehen und die Verordnung nicht nur für ungültig, sondern für inexistent zu erklären. Ihrer Ansicht nach ist die Verordnung mit einem Fehler behaftet - fortgesetzte und absichtliche Missachtung des nach Art. 254 EG zwingenden Veröffentlichungsgebots bezüglich der gesamten sachlichen Verfügungen -, dessen Schwere so offensichtlich ist, dass er von der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht geduldet werden kann. Ein solcher Schritt würde sehr deutlich machen, dass die Nichtveröffentlichung von Verordnungen oder Teilen davon - erst recht, wenn sie auf Absicht beruht - in der Rechtsordnung der Europäischen Union nicht hingenommen werden kann.
HINWEIS: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Den vollständigen Wortlaut der Schlussanträge finden Sieauf der Internetseite des Gerichtshofs hier.
Pressemitteilung Nr. 27/08 April 2008