Das neue Eilvorlageverfahren
Gewöhnliche Vorabentscheidungsverfahren werden der Dringlichkeit nicht gerecht
Ein neues Verfahren in erheblich verkürzter Zeit für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: das Eilvorlageverfahren
Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist ein Bereich, in dem in den letzten Jahren eine rege Gesetzgebungstätigkeit geherrscht hat. Es sind neue Vorschriften erlassen worden, die vor den nationalen Gerichten gelegentlich heikle Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts aufwerfen. In diesem Bereich ist es wie in jedem anderen Bereich von wesentlicher Bedeutung, dass die Gemeinschaftsbestimmungen im gesamten Gebiet der Union einheitlich angewandt werden.
Eine der Aufgaben des Gerichtshofs besteht gerade darin, über den Mechanismus des Vorabentscheidungsverfahrens zu dieser einheitlichen Anwendung beizutragen. Die in Titel VI des Vertrags über die Europäische Union (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen) und Titel IV des Dritten Teils des EG-Vertrags (Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr, u. a. justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen) genannten Materien, die den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bilden, zeichnen sich häufig durch Dringlichkeit aus, der das gewöhnliche Vorabentscheidungsverfahren nicht gerecht werden kann, da es im Durchschnitt eineinhalb Jahre dauert, insbesondere wegen der Vielzahl der Beteiligten und den Zwängen, die untrennbar mit der Übersetzung der Erklärungen verbunden sind, die jeder Mitgliedstaat abgeben kann, wenn er dies wünscht. Die nationalen Gerichte könnten dadurch davon abgehalten werden, in dieser Art von Streitsachen den Gerichtshof anzurufen.
Aus diesem Grund hat der Gerichtshof auf Ersuchen des Rates vorgeschlagen, eine neue Verfahrensart einzuführen: das Eilvorlageverfahren! Dieses Verfahren, das seit 1. März 2008 anwendbar ist, sollte es dem Gerichtshof ermöglichen, in erheblich verkürzter Zeit die sensibelsten Fragen zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu behandeln, wie sie sich z. B. in bestimmten Situationen des Freiheitsentzugs stellen können, wenn die Antwort auf die aufgeworfene Frage entscheidend für die Beurteilung der Rechtsstellung des von dem Freiheitsentzug oder der Freiheitsbeschränkung Betroffenen ist, oder in einem Rechtsstreit über das elterliche Erziehungs- und Sorgerecht, wenn die Zuständigkeit des gemäß dem Gemeinschaftsrecht angerufenen Gerichts von der Antwort auf die Vorlagefrage abhängt.
Drei wesentliche Merkmale unterscheiden dieses neue Verfahren von dem gewöhnlichen Vorabentscheidungsverfahren.
Das Eilvorlageverfahren unterscheidet im Interesse der Beschleunigung zwischen Beteiligten, die sich in der schriftlichen Phase des Verfahrens beteiligen können, und Beteiligten, die dies in der mündlichen Phase des Verfahrens können. Im Rahmen dieses neuen Verfahrens sind nur die Parteien des Ausgangsverfahrens, der Mitgliedstaat, dem das vorlegende Gericht angehört, die Europäische Kommission und gegebenenfalls, wenn einer ihrer Rechtsakte in Rede steht, der Rat und das Europäische Parlament befugt, binnen kurzer Frist schriftliche Erklärungen in der Verfahrenssprache einzureichen. Die sonstigen Beteiligten und insbesondere die anderen Mitgliedstaaten als der Mitgliedstaat, dem das vorlegende Gericht angehört, verfügen nicht über diese Möglichkeit, sondern werden zu einer mündlichen Verhandlung gebeten, in der sie, wenn sie es wünschen, mündliche Ausführungen zu den vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen und den eingereichten schriftlichen Erklärungen machen können.
Außerdem wird die interne Bearbeitung der diesem neuen Verfahren unterworfenen Rechtssachen erheblich beschleunigt, da mit allen den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffenden Rechtssachen von ihrem Eingang beim Gerichtshof an eine Kammer mit fünf Richtern betraut wird, die eigens dazu bestimmt ist, für die Dauer eines Jahres diese Rechtssachen zu prüfen und zu bearbeiten. Beschließt diese Kammer, dem Antrag auf Durchführung des Eilverfahrens stattzugeben, entscheidet sie alsbald nach der mündlichen Verhandlung, nach Anhörung des Generalanwalts.
Um die angestrebte Beschleunigung zu erreichen, wird schließlich das Verfahren in der Praxis im Wesentlichen auf elektronischem Wege betrieben. Der Schriftverkehr des Gerichtshofs mit den nationalen Gerichten, den Parteien des Ausgangsverfahrens, den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen wird, wann immer möglich, mit diesem Kommunikationsmittel geführt.
Mit diesen wesentlichen Änderungen des Vorabentscheidungsverfahrens hofft der Gerichtshof, der Dringlichkeit gerecht zu werden, die Streitsachen betreffend den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts kennzeichnen kann.
Der Gerichtshof hält für die nationalen Gerichte auf seiner Website ein Dokument mit praktischen Hinweisen bereit. Sie finden es unten angefügt oder auch auf der Internetseite des Gerichtshofs hier.
Presseinformation Nr. 13/08 März 2008