Kommissionsentscheidung für vorgesehene Treibhauszertifikate ungültig
Kommission konnte Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht nicht nachweisen
Urteil des Gerichts erster Instanz in der Rechtssache T 374/04
Bundesrepublik Deutschland / Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Die Kommission hat nicht nachgewiesen, dass die im deutschen Zuteilungsplan vorgesehenen nachträglichen Anpassungen nach unten gegen die Kriterien der Richtlinie über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft verstoßen.
Mit der Richtlinie 2003/87/EG wird ein System für den Handel mit Zertifikaten für Treibhausgasemissionen in der Gemeinschaft geschaffen, um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung dieser Emissionen, vor allem von Kohlendioxid, hinzuwirken. Emissionen aus in der Richtlinie aufgeführten Anlagen unterliegen der Vorabgenehmigung und der Zuteilung von Zertifikaten nach nationalen Zuteilungsplänen (NZP). Gelingt es einem Betreiber, seine Emissionen zu senken, kann er die überschüssigen Zertifikate an Betreiber von Anlagen, von denen überhöhte Emissionen ausgehen, verkaufen.
Am 31. März 2004 übermittelte Deutschland der Kommission den deutschen NZP für die Periode 2005 bis 2007. Dieser NZP sieht u. a. die Möglichkeit vor, die Zahl der Zertifikate, die einer Anlage in der Zuteilungsperiode zugeteilt wurden, in bestimmten Fällen zu reduzieren. Solche nachträglichen Anpassungen nach unten sind insbesondere in folgenden Fällen vorgesehen:
- Die jährlichen Emissionen einer Anlage unterschreiten 60 % der Emissionen während der Basisperiode;
- ein Betreiber nimmt eine neue Anlage in Betrieb, die eine alte Anlage ersetzt, die eine höhere Produktionskapazität hatte;
- die tatsächliche Produktionsmenge einer in den Jahren 2003 oder 2004 in Betrieb genommenen Anlage fällt geringer aus als ursprünglich vorgesehen und/oder
- das tatsächliche Aktivitätsniveau einer Anlage mit Erst-Inbetriebnahme ab dem 1. Januar 2005 fällt geringer aus als das angemeldete Aktivitätsniveau.
Der deutsche NZP sieht außerdem vor, dass nicht ausgegebene oder entzogene Emissionszertifikate der Reserve zugeführt werden. Diese Zertifikate stehen für neue Marktteilnehmer im deutschen Hoheitsgebiet zur Verfügung.
Mit Entscheidung vom 7. Juli 2004 erklärte die Kommission die im deutschen NZP vorgesehenen Maßnahmen zur nachträglichen Anpassung für unvereinbar mit bestimmten Kriterien des Anhangs III der Richtlinie und verlangte ihre Abschaffung. Deutschland hat auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung geklagt.
In seinem Urteil vom heutigen Tag prüft das Gericht, ob die Beurteilung der Kommission der im deutschen NZP vorgesehenen nachträglichen Anpassungen im Hinblick auf die Kriterien, deren Verletzung behauptet wird, rechtmäßig ist.
Erfordernis, dass der NZP eine Liste der unter die Richtlinie fallenden Anlagen unter Angabe der Anzahl Zertifikate enthalten muss, die den einzelnen Anlagen zugeteilt werden sollen (Kriterium 10)
Das Gericht ist der Auffassung, dass die Kommission die Bedeutung dieses Kriteriums, wie es im Licht der Ziele der Richtlinie zu verstehen ist, verkannt hat, indem sie die streitigen nachträglichen Anpassungen als dem allgemeinen System der Richtlinie widersprechende Maßnahmen einstufte.
Es weist darauf hin, dass es das erklärte Hauptziel der Richtlinie ist, die Treibhausgasemissionen erheblich zu verringern. Bei der Zuteilung der Zertifikate sind jedoch in Verfolgung dieses Ziels eine Reihe von „Unterzielen" einzuhalten, darunter die Erhaltung der Integrität des Binnenmarktes und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen.
Das Gericht stellt fest, dass der Umstand, dass die streitigen nachträglichen Anpassungen die Betreiber davon abhalten könnten, ihr Produktionsvolumen und damit ihre Emissionsmengen zu senken, für sich allein nicht ausreicht, um ihre Rechtmäßigkeit im Hinblick auf die Gesamtheit der Ziele der Richtlinie in Frage zu stellen, darunter das Ziel der Wahrung der Bedingungen der Kosteneffizienz und der wirtschaftlichen Effizienz, das Ziel der Verringerung der Emissionen durch technologische Verbesserungen und das Ziel des Schutzes der Integrität des Binnenmarktes und der Wettbewerbsbedingungen.
Die Kommission hat daher nicht nachgewiesen, dass das in der Richtlinie aufgestellte Erfordernis, dass im NZP für die einzelnen Anlagen die Zahl der zuzuteilenden Zertifikate anzugeben ist, den Spielraum des Mitgliedstaats bei der Wahl der Formen und Mittel zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht in dem Sinne beschränkt, dass es der Anwendung der nachträglichen Anpassungen in Deutschland entgegenstünde.
Verbot, Unternehmen oder Sektoren in einer Weise unterschiedlich zu behandeln, dass bestimmte Unternehmen oder Tätigkeiten ungerechtfertigt bevorzugt werden (Kriterium 5)
Das Gericht stellt fest, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die nachträglichen Anpassungen für neue Marktteilnehmer gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen.
Es weist darauf hin, dass sich weder aus der angefochtenen Entscheidung noch aus den Äußerungen der Kommission ergibt, warum und inwieweit sich neue Marktteilnehmer gegenüber den anderen Betreibern hinsichtlich der Anwendung der nachträglichen Anpassungen in einer entsprechenden oder einer anderen Lage befinden sollen.
Das Argument der Kommission, eine Möglichkeit zur späteren Korrektur der Zahl der zugeteilten Zertifikate sei für die neuen Marktteilnehmer insofern günstiger, als diese bei der Einreichung des Zuteilungsantrags überhöhte Prognosen des Produktionsvolumens abgeben könnten und die deutschen Behörden weniger aufmerksam kontrollierten, ist offensichtlich widersprüchlich und falsch.
Das Gericht gelangt zu dem Ergebnis, dass die Kommission die Voraussetzungen für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes missachtet hat, da sie keine unterschiedliche Behandlung gleicher Sachverhalte nachgewiesen hat.
Folglich erklärt das Gericht die Entscheidung der Kommission für nichtig, soweit darin die im deutschen NZP vorgesehenen Maßnahmen zur nachträglichen Anpassung für unvereinbar mit den in der Richtlinie aufgestellten Kriterien erklärt werden und ihre Abschaffung verlangt wird.
HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, welches das Gericht erster Instanz nicht bindet.
Dieses Urteil ist im vollständigen Wortlaut hier auf der Internetseite des Gerichtshofs zu finden.
Pressemitteilung Nr. 80/07 7. November 2007